Archiv für die Kategorie Bildung und Erziehung

Schule als Zweitfamilie

Zwölftausend Stunden Zweitfamilie 
“Kinder verbringen fast so viel Zeit in der Schule wie zu Hause. Sollten Lehrer da nicht etwas mehr leisten als nur Unterricht?”

Im Magazin der Süddeutschen Zeitung wird zu Recht darauf hingewiesen, dass Kinder einen bedeutenden Teil ihres Leben in der Schule verbringen – und fordert, Konsequenzen daraus zu ziehen:

“Es steht außer Frage, dass die kind-gerechte Schule der Zukunft mehr betreuen muss und sich nicht mehr aufs ausschließliche Unterrichten beschränken kann. Sie muss den Kindern sinnvolle Erfahrungsmöglichkeiten anbieten, weil viele Kleinfamilien selber diese Leistungen nicht mehr erbringen können. Das hat nichts mit der »Züchtung von Staatskindern« zu tun, aber viel mit Chancengerechtigkeit. …
Eine kindgerechte Schule ist eine individualisierte Schule. Anders kann sie die immense Vielfalt innerhalb einer einzigen Schulklasse nicht auffangen. Obwohl die Kinder einer Schulklasse in der Regel denselben Jahrgang haben, steht die Lehrerin bereits in einer ersten Klasse vor Schülern mit riesigen Entwicklungsunterschieden. Die leistungsmäßig besten Erstklässler sind bereits so weit wie Drittklässler, die schwächsten gerade mal auf dem Niveau des ersten Kindergartens. Diese Unterschiede zwischen den Kindern weiten sich im Verlaufe der Schulzeit immer stärker aus.
Trotzdem sind nach wie vor Lehrpläne maßgebend, die für alle Kinder Gültigkeit haben sollen. Schlägt die Schule weiterhin jedes Kind über den gleichen Leisten, wie sie das in der Vergangenheit getan hat, wird man die einen Kinder zwangsläufig unterfordern und andere überfordern. Diese Kinder werden auf die Dauer entmutigt und verabschieden sich innerlich von der Schule – oder aber sie werden aus Protest verhaltensauffällig. …
Meint es eine Schule wirklich ernst mit dem individualisierten Unterricht, dann ist es nur konsequent, die bisherigen kollektiven durch individuelle Lehrpläne zu ersetzen.”

Yes!!

“Das oberste Ziel einer kindgerechten Ausbildung besteht nicht in einem Zeugnis mit lauter Einsen in Wissen und Fertigkeiten, sondern in einem guten Selbstwertgefühl aller Schüler. Ein gutes Selbstwertgefühl kann nur entstehen, wenn das Kind die Schule erfolgreich bestehen kann, also weder über- noch unterfordert wird. Dies verschafft dem Kind die Gewissheit, dass es die Zukunft mit Zuversicht in Angriff nehmen kann, dass es die eigenen Stärken zu nutzen und mit den Schwächen umzugehen weiß. Eine kindgerechte Schule entlässt junge Erwachsene in die Gesellschaft, die emotional gefestigt, sozial kompetent und fähig sind, ihr Leben selbstständig zu meistern. Lernstoff, der nur den Fachlehrer, aber nicht die Kinder interessiert und der vor allem nichts zu ihrer langfristigen Entwicklung beiträgt, gehört nicht mehr in den Unterricht.”

Und wovon träume ich heute Nacht???

 

Oh, wie schön! – Oh, wie schade!

Also ich freue mich wirklich!
Warum?

Der Lehrerfreund, ein großer Lehrerblog, hat die Wahl zum Lehrerblog 2009 ausgerufen.

Eine erlesene 20-köpfige Jury hat aus einer Vorauswahl aus 70 Pädagogenblogs insgesamt 10 gewählt, die in die Endausscheidung kommen. Es gibt drei Kategorien, auf das Alter der Blogs bezogen: Säuglinge, Etablierte, Veteranen.

Ich hatte mich schon gefreut, überhaupt wahrgenommen worden zu sein und als ein Blog unter 70 immerhin unter den “Etablierten” aufzutauchen – übrigens mit folgender Charakterisierung: “Speybridge: Blog rund um Bildung(spolitik) und Pädagogik, Fokus auf Hochbegabung. Beiträge sind meist ausführlich und meinungsschwanger.”  (Ist das eigentlich ein Kompliment??  ;-) )

Dann hatte ich mir eigentlich gar keine weiteren Gedanken und Hoffnungen gemacht, unter die “auserwählten 10” in die Endausscheidung zu kommen, denn mit dem Schwerpunktthema “Hochbegabung” bin ich ja vielleicht doch eher ein Exot.

Umso überraschter war ich, zu sehen, dass ich sozusagen mit auf Platz 11 gekommen bin – nach dem Motto: Knapp daneben, ist auch vorbei.

Da freu ich mich riesig!! Das ist schon toll und auch eine Wertschätzung, von dieser Jury so hoch eingeschätzt worden zu sein! Aber sooo knapp letztlich doch nicht in die Endausscheidung gekommen zu sein, ist dann doch auch ein gaaanz klitzekleines Bisschen schade.

Aus Sympathie für meine “Leidensgenossen”, hier die Aufzählung aller knapp Unterlegenen:

Knapp verpasst
Für viele gute Blogs hat es leider knapp nicht gereicht; dass sie in der Bildungsdiskussion von hohem Inhalts- und/oder Unterhaltungswert sind, ist unbestreitbar. Besonders fies hat es natürlich die erwischt, die wegen einer oder zwei fehlenden Stimmen nicht in die Endausscheidung gekommen sind. Betroffen waren hier …
… bei den Säuglingen
riecken.de und der Bildungswirt, die in einer vorösterlichen Stichwahl unterlagen.
… bei den Etablierten
speybridge, Andreas Roth – Fachberater Informatik, Bluemac – Aus der Schule | Aus dem Leben
… bei den Veteranen
reticon – Bildung und Neue Medien, rete-mirabile.net – Infos und Materialien für den Unterricht, norberto42 – Sind wir verpflichtet, unsern Irrtümern treu zu sein? (FN)

Ich wünsche dem Lehrerfreund eine rege Beteiligung bei der Abstimmung.
Der beste Blog möge gewinnen! 

 

Mehr Geld für die “Guten”?

Viel ist in den letzten Wochen über den Lehrerberuf geschrieben worden. Ein weiterer Artikel, der all das, was da veröffentlicht wurde, irgendwie zusammenfassen will, aber dabei etwas konfus wirkt, ist in der aktuellen ZEIT zu finden: Boni für die Besten.

Die “revolutionäre” Idee:
“Eine leistungsorientierte Vergütung würde helfen, um die Besten in die Klassenzimmer zu holen. Wer seinen Schülern das meiste beibringt, sollte mit entsprechenden Boni belohnt werden. In Finnland gibt es diverse Zulagen für Lehrer, die sich zusätzlich engagieren, in benachteiligten Gebieten unterrichten oder besondere Leistungen in der Lehre erbringen. Es ist kein Zufall, dass der Lehrermangel in Deutschland gerade in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern besonders groß ist. Studierenden dieser Fächer stehen auf dem Arbeitsmarkt weit lukrativere Möglichkeiten offen – und die Leistungsorientiertesten unter ihnen werden sich eher nicht für den Lehramtsberuf entscheiden. In Deutschland ist Lehrer kein Beruf für diejenigen, die Leistung entlohnt sehen möchten. Wenn wir aber motivierten Menschen mehr materielle Anreize geben und durch Zugangsbeschränkungen zum Studium eine Auswahl der Besten anstreben, könnte dies ein klares Signal dafür sein, wie wichtig dieser Beruf für die Zukunft unseres Landes ist.”

Wenn das keine Qualitätsoffensive für ein besseres Bildungssystem ist…

 

Dem Elternwillen ausgeliefert

Immer wieder gibt es Berichte wie den, der aktuell auf Spiegel online zu finden ist. Diesmal lautet der Titel Deutsche Schul-Boykotteure wollen Asyl in den USA:

“Der Fall sorgt für Aufsehen: Eine schwäbische Familie bibeltreuer Christen wollte ihre Kinder zu Hause unterrichten. Die Behörden verboten es, deshalb wanderte sie in die USA aus und beantragte Asyl als ‘politisch Verfolgte’. Ihre Unterstützer hetzen mit kruden Nazi-Parallelen gegen Deutschland.”

Auch die Süddeutsche berichtet: Flucht vor der Schulpflicht, ebenso die ZEIT: Schulpflicht ist richtig.

Jeder sollte “nach seiner Façon” selig werden dürfen, kein Thema –  und es mag tatsächlich den einen oder anderen Fall geben, in dem Homeschooling (vorübergehend) tatsächlich die beste Lösung für ein Kind ist. Auch in Hochbegabtenkreisen wird natürlich über “Unterricht zu Hause” diskutiert.
Mir bleibt das Ganze jedoch unsympathisch, daran hat sich nichts geändert (siehe hier).

Die Gefahr, dass Kindern die Auseinandersetzung mit der “bösen Welt draußen” versagt bleibt und sie auf Gedeih und Verderb dem – wie auch immer (ideologisch) geprägten – Willen ihrer Eltern komplett ausgeliefert sind, ist nicht zu unterschätzen.

Dazu die ZEIT: “Es ist gut, dass Deutschland an diesem Prinzip [der Schulpflicht] festhält. Denn wer hier von persönlicher Freiheit spricht, verwechselt etwas: Es geht nicht um die Freiheit der Eltern, sondern um das Wohlergehen der Kinder. Die haben ein Recht nicht nur auf Bildung, sondern auch auf individuelle Entfaltung und ihre eigene persönliche Freiheit. Sie kann durchaus über die Visionen ihrer Eltern hinausgehen.
Eltern haben zwar die Pflicht, für ihre Kinder zu sorgen und sie dürfen das auch entsprechend ihren Weltanschauung tun. Aber sie sollen deshalb noch lange nicht bedingungslos Macht ausüben. Das bedeutet es nämlich, wenn sie ihren Kindern andere Lebensentwürfe und Erfahrungen vorenthalten, die ihnen Lehrer und Mitschüler beibringen und vorleben. Die Schule ermöglicht es, viele Menschen und Sichtweisen kennen- und akzeptieren zu lernen und neue Talente zu entdecken.”

Elternwille – selbst der bestwollende –  kann dem Kindeswohl durchaus Schaden zufügen.
Das wird ungern gehört, gilt aber für viele Bereiche der Eltern-/Kindbeziehung.

Auch wenn unser Schul- und Bildungssystem eine ziemlich unübersichtliche und oft unbefriedigende Baustelle ist: Homeschooling kann die Lösung nicht sein.

 

Nur geradeaus ist zu wenig

Ein Bericht in Spiegel online “Bachelorstudenten ticken anders” beschäftigt sich mit den Veränderungen, die die Umstellung von Diplom- auf Bachelor-/Masterstudiengänge für Studenten mit sich bringt in Bezug auf Mentalität der Studenten, Art des Studierens, psychische Belange.

Im Interview meint der Politologe Roland Bloch, der für seine Doktorarbeit Studenten befragt hat, dass es seit Beginn des Bologna-Prozesses bei den Studenten der neuen Bachelor-Studiengänge einen deutlichen Trend zum stromlinienförmigen Akademiker gebe und sie anders “tickten” als die früheren Diplomstudenten:

”Selbstverständlich, schon weil sie ganz anders mit der Strukturierung in ihrem Studium umgehen und mehr Vorgaben berücksichtigen müssen. Das bleibt nicht ohne Einfluss auf die Mentalität der Studierenden. Die wird immer mehr von strategischen Überlegungen bestimmt. Insofern: Ja, Bachelorstudenten ticken anders, sie ticken vor allen Dingen strategischer. … Aus der Sozialerhebung des Studentenwerks geht hervor, wie sehr Bachelor-Studierende unter dem Leistungsdruck leiden.  Die Nachfrage nach Beratungsangeboten ist rapide gestiegen. Das Ziel der Reform, den Studenten bei der Organisation des Studiums zu helfen, wird verfehlt. Stattdessen hat die Unsicherheit zugenommen. … Die Verschulung des Studiums ist ein deutscher Sonderweg. Hier wurde strukturiert, wo Flexibilität gefördert werden sollte. Alles spricht dafür, dass die Reformen eher die Mobilität hemmen. Wegen der eng definierten Module und des straffen Zeitplans ist es kaum möglich, während des Studiums die Uni zu wechseln.”

Zeit, um neben dem Studium andere Aktivitäten zu entwickeln, wie z. B. das Organisieren von Uni- oder Schulprojekten, die Ausübung einer politischen Tätigkeit etc., die zwar vordergründig studienfern sind, aber doch wesentlich zur Erlangung verschiedenster Kompetenzen dienen, was durchaus relevant für die spätere Berufsfindung und -ausübung sein kann und nicht zuletzt die Persönlichkeitsreifung unterstützt, fehlt oft völlig.

“Stattdessen hat man heute immer die Berufsqualifikation im Blick – leider oft schon ab dem ersten Semester. Diese Anpassung geht aber an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts vorbei. Je stärker man ein Studium durchstrukturiert, desto mehr befördert man Stromlinienförmigkeit und verhindert produktive Umwege.

Ist zu befürchten, dass Hochschulen zu Ausbildungsbetrieben werden, die stromlinienförmige Menschen durch das Studium schleusen, die nur noch hypnotisiert wie das Kaninchen auf die Schlange den Studienabschluss im Blick haben und immer weniger in der Lage sind, Zusammenhänge zu erkennen, selbst zu denken und Kritik zu formulieren?

Dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist, erfuhr ich in einem Gespräch mit einem jungen wissenschaftlichen Mitarbeiter einer Uni, der, selbst dem Studium kaum entwachsen, die Hände über dem Kopf zusammenschlägt angesichts der zunehmend mangelhaften inhaltlichen Qualität abgelieferter Seminararbeiten: zusammengeklöppelte Versatzstücke, bei denen Fakten, Diskussion, Meinung, Kommentar, Schlussfolgerungen bunt durcheinandergewürfelt nicht mehr differenziert werden, erstellt nach dem Motto: Hauptsache im Zeitplan, Hauptsache fertig.

Funktionieren statt Lernen statt Begreifen statt Position statt Erfahrung sammeln.

Das ist zu wenig.

 

Hinter’m Mond

Vorgestern traf ich mich mit einer alten Bekannten zum Kaffee, die seit vielen Jahren Gymnasial-Lehrerin für zwei Sprachen ist.
Sie erzählte von mehreren Begebenheiten, in der sie vor den Schülern mehr als dumm da gestanden hatte – und sie alle drehten sich um den Computer und die gegebenen Internetmöglichkeiten.
In einem Falle hatte sie wohl den Schüler, der auf ihre Nachfrage, woher er eine bestimmte Information habe, antwortete, er habe das “gegooglet”, mit so großem Unverständnis gefragt, was das denn sei, dass die ganze Klasse in Lachen ausgebrochen war. In einem anderen Fall wusste sie nichts damit anzufangen, dass ein Schüler ein Thema mit einer PowerPoint-Präsentation vortragen wollte und nach einem Beamer fragte.
Wikipedia kannte sie auch nicht.

Lachen musste ich deswegen natürlich, als ich just am selben Tag abends in Spiegel online folgenden Beitrag las: Für Lehrer ist Wikipedia ein rotes Tuch

“Der Auftritt von Denis Barthel hat etwas von einer Werbeveranstaltung, doch seine Mission ist anders: Er will warnen, nicht werben. Ein Freitagmorgen, acht Uhr, erste Stunde in der Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule in Berlin-Kreuzberg. In grauem Anzug spricht Barthel mit 21 Schülern der 10. Klasse. Der Projektmanager und Administrator von Wikipedia zeigt in einer Powerpoint-Präsentation verschiedene Einträge aus dem Online-Lexikon. Was die gemeinsam haben: Alle sind schlecht.”

Die Idee, die dort präsentiert wird, Wikipedia in den Unterricht einzubeziehen, selbst zum Thema bei den Schülern zu machen, wofür es sicherlich viele methodische Möglichkeiten gibt, ist eine äußerst gute. Mit Werbung macht man’s, mit Comics, früher mit der “Bravo” oder Frauenzeitschriften, mit Politikerreden etc. etc. Es mit Wikipedia-Artikeln zu tun, dazu ist es höchste Zeit…
Ziel: bewusste Wahrnehmung, kritischer Umgang, kluge Anwendung.

Schulung im Umgang mit dem Internet tut not. Differenzierter Umgang ist angesagt und kein Tabu.

Aber: “Den Schulen scheint das einerlei. Ihr Interesse an den Seminaren ist Ausdruck einer Hilflosigkeit: Medienkompetenz ist zwar fester Bestandteil der Lehrpläne, doch dem Online-Lexikon wird nicht der Raum gegeben, wie es einem Zentralorgan des Wissens gerecht werden würde. Norbert Neuß, Gießener Professor für Medienpädagogik, sieht die Probleme schon bei der Lehrerausbildung: ‘Nur wenige Hochschulen bieten Medienpädagogik an, sie wird eher noch zurückgefahren.’”

Die Schüler stürzen sich jedenfalls mit Begeisterung auf den neuen Unterrichtsinhalt. Er ist lebensnah – und was da alles wie “nebenher” gelernt wird, ist eine Menge und passiert fast automatisch: Wie gehe ich mit Quellen um? Was ist neutrale Darstellung, was Ausschmückung, Wertung etc.? Versteckt sich in einer sich objektiv gebenden Inhaltsangabe nicht doch eine Tendenz?
Natürlich könnte man diese Dinge weiterhin auch an konventionellen Inhalten vermitteln – aber warum sollte man in diesem Falle?

“Allerdings seien es nicht die Schüler allein, die Nachholbedarf in Sachen Wikipedia hätten: ‘Fragen Sie mal die Lehrer hier, ob die wissen, wie Wikipedia funktioniert.’
Das erfährt Denis Barthel an diesem Vormittag nicht. Zu jedem Aktionstag gehört auch eine Diskussionsrunde mit Lehrern – aber an der Ossietzky-Schule kommt keiner. Das Interesse der Lehrer sei bisher bei jedem Aktionstag sehr gering gewesen.”

Diese Lehrer scheinen es sich leisten zu können.

Ich machte eine entsprechende Erfahrung, als ich meine Bekannte nach dem Lesen des Spiegel-Artikels anrief und ihr von den Seminaren zu Wikipedia und den Möglichkeiten, solche Dinge als Unterrichtsstoff zu nutzen, gerade auch im Sprachunterricht, erzählte.
”Da müsste ich ja selbst erst einmal sehen, was das überhaupt ist, Wikipedia. Und dazu habe ich im Moment weder Zeit noch Lust.”

Die Blamagen-Schmerzgrenze scheint bei ihr – und vielen anderen – noch nicht erreicht zu sein…

 

Integration statt “Sonder”-Schule

Von der Unterzeichnung der UNO-Konvention, nach der die ca. 430.000 “Sonderschüler” in Deutschland nun in das normale  Schulsystem integriert werden müssen und das laute Schweigen um dieses Thema herum, ist hier schon berichtet worden.

Unter jetzt.de (zugehörig zur SZ) ist nun ein Bericht über das Münchner Adolf-Weber-Gymnasium zu finden, das schon lange integrativ sehende und sehbehinderte Schüler unterrichtet: Eine ganz normale Schule.

Auch in diesem Artikel wird wieder Bezug genommen auf die UNO-Konvention:
“Bundesweit wird nach wie vor der Großteil von Schülern mit körperlichen oder geistigen Behinderungen an speziellen Förderschulen unterrichtet. Nur rund 15 Prozent werden … in Regelschulen integriert und das, obwohl Deutschland im Dezember 2008 die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen unterzeichnet hat, die seit Jahresbeginn wirksam ist. Die Vertragsstaaten sind aufgefordert, „ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen“ für alle Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu schaffen, egal, ob sie körperlich, geistig oder lernbehindert sind. Aber im Vergleich zu Großbritannien, Portugal oder den skandinavischen Ländern, wo über 90 Prozent der behinderten Schüler an Regelschulen unterrichtet werden, liege die Bundesrepublik weit zurück, mahnte der Sozialverband Deutschland kürzlich. So erstaunt es nicht, dass der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz, das deutsche Bildungssystem im vergangenen Jahr auch aufgrund mangelnder Behindertenintegration als ‘selektiv, diskriminierend und ungerecht’ kritisierte.
Zahlreiche Behindertenverbände setzen sich nun für die Umsetzung der UN-Konvention ein, erste Klagen betroffener Eltern laufen bereits. Doch Uneinigkeit herrscht nicht nur darüber, wie Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf am besten betreut werden – alleine der Begriff der Integration ist umstritten. Denn dieser impliziere, dass etwas ‘Fremdes’ integriert werden müsse, bemängeln die Verbände und sprechen sich deshalb für eine inklusive Pädagogik aus, in der die Schule von Anfang an als eine Gemeinschaft mit den ihr eigenen Differenzen und Besonderheiten verstanden wird. Die Kultusministerkonferenz hat derweil eine Arbeitsgruppe einberufen, die über die Umsetzbarkeit berät.”

Im Adolf-Weber-Gymnasium hat man im Umgang mit den (seh-) behinderten Schülern folgende Maxime: “„Wir haben unsere behinderten Schüler nie als Störfaktor gesehen, sondern einfach als Schüler mit besonderen Bedürfnissen. Wir haben sie bewusst aus der sozialen Isolierung im ‘Blinden-Ghetto’ herausgelöst.”
Dabei ist man nicht naiv und erkennt Grenzen: “Der Versuch, auch hörgeschädigte Schüler aufzunehmen, habe sich als schwierig erwiesen. Denn wo bei blinden Kindern verstärkt auf verbalen Unterricht gesetzt wird, muss für Schwerhörige mehr visualisiert werden.”

Bei der Integration der “Sonderschüler” in das “normale” Schulsystem wird es immer wieder diese Grenzen geben. Nicht überall wird alles gleichzeitig möglich sein. Das spricht nicht gegen die Integration der Sonderschüler als grundsätzliches Ziel.

Wichtig sind gerade jetzt zu Beginn des Integrationsprozesses vor allem das Umdenken und die Fähigkeit, zu einer wirklichen Individualisierung des Unterrichts zu kommen. Diese wird zwar im Moment schon lautstark propagiert, aber im “richtigen Leben” noch nicht wirklich praktiziert. Ausnahmen bestätigen da immer noch eher die Regel, als dass sie sie außer Kraft setzen…

 

Bildung = Wissen + ?

Auf Spiegel online las ich ein Interview mit Günther Jauch mit dem Titel Bildung kann man nicht downloaden: ein bisschen was Buntes, ein bisschen Lebensweisheit.

Aufmerken lassen haben mich allerdings die letzten Sätze des Interviews:

”Wissen wird erst zu Bildung durch die Persönlichkeit eines Menschen. …
Bildung kann einen sehr glücklich und gelassen machen!”

Wie wahr!

Im Lichte dieses Satzes – und nicht nur dort – ist es extrem kritisch, zu beobachten, wie im Zuge des “Turbo-Abis” Lehrpläne bis hin zu rudimentärem Oberflächenwissen hin verkürzt werden, das dann auch noch in einer alle überfordernden und auch unwürdigen Tour de Force, immer mit Blick auf Pisa und/oder die alldrohenden Kollektiv-Klausuren, auf die Schüler niedergeprügelt wird.

Im Lichte dieses Satzes erscheint es immer unsinniger, zielidentisches Lernen in Klassen als unausgesprochenes Dogma um jeden Preis immer weiter zu praktizieren – auf dem Rücken der Schwachen und der Begabten gleichermaßen.

Was erwartet man, auf diese Weise bei den Schülern erreichen zu können:
Liebe zum Lernen?
Fähigkeit zum Wissenstransfer?
Interesse zu wecken an Themen?
Lebensfreude, die motiviert, die Welt zu entdecken?
Lust, Position zu beziehen?
Freude an einem Hobby, daran, an einem Punkt in die Tiefe zu gehen?
Fähigkeit, differenziert zu denken?
Auf der Basis von Wissen reifen zu können?

”Wissen wird erst zu Bildung durch die Persönlichkeit eines Menschen. …
Bildung kann einen sehr glücklich und gelassen machen!”

 

Unabsehbare Folgen: Mobbing in der Schule

Gar nicht viele Worte verlieren will ich zu dem sehr ausführlichen und betroffen machenden Artikel im Süddeutschen Magazin dieser Woche: Hurensohn! Stück Scheiße! Arschloch!, der sich mit Mobbing in der Schule beschäftigt. Ich wünsche ihm viele Leser.

Natürlich weiß ich, dass Schüler/innen aus den unterschiedlichsten Gründen zu Mobbingopfern werden. Da einer der Schwerpunkte dieses Blogs aber das Thema Hochbegabung ist und sich in besagtem Artikel ein entsprechendes Beispiel findet, sei es hier zitiert:

“Maximilian ist hochbegabt, er spielt nicht Fußball, sondern reitet und liest Sachbücher über den Holocaust. Maximilian ist vier Jahre lang in der Grundschule von seinen Mitschülern gequält worden, obwohl er dort einmal sogar die Klasse gewechselt hat. »Als die Mitschüler in der neuen Klasse von seinen Hobbys erfuhren, war es dort auch sofort vorbei«, sagt seine Mutter. Seit Sommer 2008 besucht Maximilian eine Realschule in der Nähe von Wolfsburg und wird weiter schikaniert. Zwei Jungs aus seiner Grundschule sind wieder in seiner Klasse.
Maximilian ist als Hurensohn, Stück Scheiße, Arschloch, Scheißbullensohn, Idiot beschimpft worden. Seine Mitschüler haben ihm ins Gesicht gespuckt, ihn im Handarbeitsunterricht mit Nadeln gestochen, ihm in den Arm gebissen, sodass die Wunde verbunden werden musste, und sie haben ihm einen Zahn ausgeschlagen. Ein Lehrer hat mal zu Maximilian gesagt: »Dann darfst du halt nicht so schlau tun«, ein anderer hat ihn »verwöhntes Früchtchen« genannt.
Maximilian antwortet auf die Frage, wie es ihm geht: »Nicht so prickelnd.« Er ist ein Zyniker – mit elf Jahren. Er hält die Kinder, die ihn plagen, mittlerweile für minderbemittelt. »Reden bringt bei denen nichts.« Wenn seine Mutter ihn morgens wecken will, öffnet sie eine Tür, auf die Totenköpfe gemalt sind, daneben steht: »Weckt mich nicht!« Wenn man sein Zimmer betritt, muss man Angst haben, dass seine aus Legosteinen gebaute Selbstschussanlage losgeht. »Ich gehe dem Mobbing aus dem Weg, indem ich oft nicht in die Schule gehe«, sagt Maximilian. …Maximilian bezeichnet sich als »dauerpessimistisch«. Es ist also davon auszugehen, dass er leidet und dass sein Leid nur von ihm allein zu ermessen ist. Außerdem ist davon auszugehen, dass Eltern sehr hilflos sind in einer solchen Situation. »Im letzten Monat haben wir ihn jeden Morgen zur Schule gebracht, weil wir Angst hatten, dass er sich etwas antut, wenn wir ihn allein losschicken«, sagt seine Mutter.
Längst wirken sich Maximilians Schulprobleme auf die ganze Familie aus. Sein Vater will ihn morgens zwingen, in die Schule zu gehen. Maximilian flippt aus, wird aggressiv, auch gegen die beiden älteren Schwestern. Oder er verzweifelt und wendet sich Hilfe suchend an seine Mutter. Aber die verstummt nur. Was soll sie tun? Sie spürt die Nöte ihres Sohnes und ist trotzdem machtlos.
Ob er sich wünscht, in eine Klasse zu gehen, in der er gemocht wird? Maximilian überlegt: »Ich glaub schon. Aber ich glaub, das geht nicht mehr.« Was würde er sich denn überhaupt wünschen? Maximilian überlegt wieder. Soll er cool sein, den Zyniker geben? Das kann er doch so gut. Aber dann sagt er: »Dass es einfach aufhört.« Pause. Und ergänzt, ganz leise: »Es wäre besser, wenn ich nicht existieren würde.«”

Um ehrlich zu sein: Natürlich macht diese Geschichte – wie alle Mobbing-Erfahrungen – betroffen. Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass im Falle Maximilians auch noch andere Dinge falsch laufen. Wieso um alles in der Welt  ist ein solcher hochbegabter Junge überhaupt auf der Realschule?
Dieser Frage sollte man tunlichst nachgehen – unter Einbeziehung der familiären Problematik, die mit Sicherheit in der Familie von Maximilian zu finden ist. Ungeschickte und falsche Entscheidungen im Elternhaus haben auch immer ihre Gründe und beeinflussen die Situation einen Kindes natürlich extrem, hier bei Maximilian bis hin zu einer unerträglichen Lebenssituation, die jeder kennt, aber keiner abzuändern bereit zu sein scheint.

 

Ritalin und Hochbegabung

Zweifelhafte “Wunderwaffe” Ritalin!

In der letzen Zeit waren vermehrt kritische Artikel über die Diagnose “Hyperaktivität”und die medikamentöse Therapie von Kindern mit Ritalin und vergleichbaren Präparaten zu finden.
Die hier zitierten Stellen stammen aus:
Lieblingsdiagnose: Zappelphilipp (SZ) und
Ritalin-Kinder: Die Lehrer sind überfordert (Tagesanzeiger)

Die Verschreibung von Ritalin aufgrund der Diagnose ADHS ist in den letzten Jahren dermaßen sprunghaft angestiegen, dass es äußerst zweifelhaft erscheint, dass dieses Medikament tatsächlich immer nach wirklich sorgfältiger Diagnose verordnet wurde und wird.
So sagt denn auch Florian Heinen, Leiter der Kinderneurologie am Haunerschen Kinderspital der Universität München: “ADHS ist eine argumentative Missbrauchsplattform”.
Und: “Ritalin ist für die Lehrer der schnellste Weg, auffällige Kinder in den Griff zu bekommen” (Georg Feuser, Professor für Sonderpädagogik an der Universität Zürich).

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt Kinder und es gibt auch Erwachsene, für die Ritalin ein wirklicher Segen ist und die durch die Einnahme dieses Medikamentes zum ersten Mal überhaupt in die Lage versetzt werden, ein alltagstaugliches Leben führen zu können.

Das “Aber” wiegt dennoch schwer:

“Manchmal kommt die Diagnose ADHS aber auch eher den Bedürfnissen der Eltern, Psychologen, Ärzte und Erzieher entgegen und nicht den Kindern. Wenn endlich eine medizinische Erklärung für auffälliges Verhalten gefunden wird, und sich alle darauf geeinigt haben, dass das Kind krank ist, sind andere Beteiligte entlastet. Familiäre oder schulische Konflikte bleiben dann unbenannt. Und Ärzte müssen nicht mühsam das soziale Geflecht entwirren, in das ein Kind möglicherweise verstrickt ist. … Es gibt Hinweise auf psychosoziale Ursachen des Leidens. Stress verschlimmert die Beschwerden. Bei Kindern aus Unterschichtfamilien und von Alleinerziehenden wird häufiger ADHS diagnostiziert. In Migrantenfamilien ist das Leiden hingegen seltener."
Vielleicht weil dort mehr Toleranz für aktive und tobende Kinder zu finden ist?

Auch in der Beratung Eltern hochbegabter Kinder höre ich immer häufiger, dass Kindern mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit gegen ihre “Unruhe” in der Schule und ihren “Konzentrationsmangel” Ritalin verordnet wurde, sehr schnell meist – und höre von den Eltern im selben Moment, dass ihre Kinder aber stundenlang konzentriert arbeiten würden, wenn ihnen etwas Schwierigeres als üblich vorgelegt wird.
Ich kann mich da nur an den Kopf greifen!

Hört da keiner die Signale?!?

Häufig sind diese Kinder schon als hochbegabt diagnostiziert. Statt dass nun aber Konsequenzen aus dieser Diagnose gezogen worden wären – Überspringen einer Klasse, besondere Aufgaben etc. – wurde so getan, als sei nichts und ließ alles einfach weiterlaufen wie gehabt. Das Kind blieb natürlich unruhig wie zuvor.
Da sollte es dann das Ritalin richten.
Dieses Vorgehen grenzt an Körperverletzung – von der seelischen Qual nicht zu reden, die die Kinder erdulden müssen, weil keiner mit ihnen vernünftig umzugehen vermag.

Im Tagesanzeiger lese ich nun dies:
“Studien zeigen, dass ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Aufmerksamkeits-Syndrom und Hochbegabung besteht. Manche betroffene Eltern glauben darum, dass ihre Kinder hochbegabt sind.”

Auch da kann ich mich nur an den Kopf greifen: Viele dieser “auffälligen” Kinder haben doch gar kein Aufmerksamkeitssyndrom, sondern sind chronisch unterfordert und wissen nicht, wohin mit sich!!!
Dass man sich NICHT mit ruhiger Konzentration auf das zwanzigste Blatt mit der Aufgabe, das 8000ste “Q” auszumalen stürzt, wenn man schon fließend lesen und auch vernünftig schreiben kann, das hat mit ADHS nichts zu tun, sondern mit der pädagogischen Unfähigkeit der betroffenen Lehrer und Eltern.

Umgekehrt wird ein Schuh aus der Aussage des Tagesspiegels: Viele Eltern (und Lehrer) glauben nicht, dass die betroffenen Kinder hochbegabt sind und dichten ihnen ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom an, damit sich das “Problem” mit Ritalin erledigen lässt.

Es ist viel die Rede von überehrgeizigen Eltern, die aus ihren verhaltensauffälligen Kindern gerne hochbegabte machen wollen: Ich habe allerdings in den vielen Jahren der Beratung dieses Phänomen sehr selten angetroffen. Die Eltern, mit denen ich gesprochen habe, neigen eher dazu, die Hochbegabung ihrer Kinder herunterzuspielen, sie wollen meist nur ein “normales” Kind und neigen gerne allzu schnell dazu, übereifrigen Ärzten zu glauben, mit Ritalin würde alles wieder heile werden – einfach so.

Dafür spricht auch Folgendes:
"Viele Kinder mit der Diagnose haben kein Aufmerksamkeitsdefizit – ihre Aufmerksamkeit ist nur nicht da ist, wo Eltern oder Lehrer sie gerne hätten", sagte ein Arzt für Familientherapie in einem Vortrag. Er bekam Anrufe empörter Eltern. Sie entrüsteten sich darüber, dass ihren Kindern die Diagnose streitig gemacht wurde.”