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Hinter’m Mond

Vorgestern traf ich mich mit einer alten Bekannten zum Kaffee, die seit vielen Jahren Gymnasial-Lehrerin für zwei Sprachen ist.
Sie erzählte von mehreren Begebenheiten, in der sie vor den Schülern mehr als dumm da gestanden hatte – und sie alle drehten sich um den Computer und die gegebenen Internetmöglichkeiten.
In einem Falle hatte sie wohl den Schüler, der auf ihre Nachfrage, woher er eine bestimmte Information habe, antwortete, er habe das “gegooglet”, mit so großem Unverständnis gefragt, was das denn sei, dass die ganze Klasse in Lachen ausgebrochen war. In einem anderen Fall wusste sie nichts damit anzufangen, dass ein Schüler ein Thema mit einer PowerPoint-Präsentation vortragen wollte und nach einem Beamer fragte.
Wikipedia kannte sie auch nicht.

Lachen musste ich deswegen natürlich, als ich just am selben Tag abends in Spiegel online folgenden Beitrag las: Für Lehrer ist Wikipedia ein rotes Tuch

“Der Auftritt von Denis Barthel hat etwas von einer Werbeveranstaltung, doch seine Mission ist anders: Er will warnen, nicht werben. Ein Freitagmorgen, acht Uhr, erste Stunde in der Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule in Berlin-Kreuzberg. In grauem Anzug spricht Barthel mit 21 Schülern der 10. Klasse. Der Projektmanager und Administrator von Wikipedia zeigt in einer Powerpoint-Präsentation verschiedene Einträge aus dem Online-Lexikon. Was die gemeinsam haben: Alle sind schlecht.”

Die Idee, die dort präsentiert wird, Wikipedia in den Unterricht einzubeziehen, selbst zum Thema bei den Schülern zu machen, wofür es sicherlich viele methodische Möglichkeiten gibt, ist eine äußerst gute. Mit Werbung macht man’s, mit Comics, früher mit der “Bravo” oder Frauenzeitschriften, mit Politikerreden etc. etc. Es mit Wikipedia-Artikeln zu tun, dazu ist es höchste Zeit…
Ziel: bewusste Wahrnehmung, kritischer Umgang, kluge Anwendung.

Schulung im Umgang mit dem Internet tut not. Differenzierter Umgang ist angesagt und kein Tabu.

Aber: “Den Schulen scheint das einerlei. Ihr Interesse an den Seminaren ist Ausdruck einer Hilflosigkeit: Medienkompetenz ist zwar fester Bestandteil der Lehrpläne, doch dem Online-Lexikon wird nicht der Raum gegeben, wie es einem Zentralorgan des Wissens gerecht werden würde. Norbert Neuß, Gießener Professor für Medienpädagogik, sieht die Probleme schon bei der Lehrerausbildung: ‘Nur wenige Hochschulen bieten Medienpädagogik an, sie wird eher noch zurückgefahren.’”

Die Schüler stürzen sich jedenfalls mit Begeisterung auf den neuen Unterrichtsinhalt. Er ist lebensnah – und was da alles wie “nebenher” gelernt wird, ist eine Menge und passiert fast automatisch: Wie gehe ich mit Quellen um? Was ist neutrale Darstellung, was Ausschmückung, Wertung etc.? Versteckt sich in einer sich objektiv gebenden Inhaltsangabe nicht doch eine Tendenz?
Natürlich könnte man diese Dinge weiterhin auch an konventionellen Inhalten vermitteln – aber warum sollte man in diesem Falle?

“Allerdings seien es nicht die Schüler allein, die Nachholbedarf in Sachen Wikipedia hätten: ‘Fragen Sie mal die Lehrer hier, ob die wissen, wie Wikipedia funktioniert.’
Das erfährt Denis Barthel an diesem Vormittag nicht. Zu jedem Aktionstag gehört auch eine Diskussionsrunde mit Lehrern – aber an der Ossietzky-Schule kommt keiner. Das Interesse der Lehrer sei bisher bei jedem Aktionstag sehr gering gewesen.”

Diese Lehrer scheinen es sich leisten zu können.

Ich machte eine entsprechende Erfahrung, als ich meine Bekannte nach dem Lesen des Spiegel-Artikels anrief und ihr von den Seminaren zu Wikipedia und den Möglichkeiten, solche Dinge als Unterrichtsstoff zu nutzen, gerade auch im Sprachunterricht, erzählte.
”Da müsste ich ja selbst erst einmal sehen, was das überhaupt ist, Wikipedia. Und dazu habe ich im Moment weder Zeit noch Lust.”

Die Blamagen-Schmerzgrenze scheint bei ihr – und vielen anderen – noch nicht erreicht zu sein…

 

36 Kommentare zu “Hinter’m Mond”

  1. 1000Sunny schrieb am 8. April 2009 um 12:55: 

    Es gibt ja mittlerweile eine Menge Lehrer, die in der neuen Zeit angekommen sind. Viele andere sehen aber wirklich keinen Bedarf dafür – wieso auch? Werden ihre “Kunden” ja in die Schule gezwungen und haben kein Recht sich dagegen zu wehren.