Pädagogik in Deutschland 2009
Ich sollte mich daran gewöhnt haben, schließlich habe ich über 15 Jahre Erfahrung in der Beratung Eltern hochbegabter Kinder. Manche Geschichten ziehen mir aber immer noch die Schuhe aus – und die vor kurzem hier geschilderte “pädagogische Meisterleistung” einer Lehrerin, die Schülern, die im Unterricht plapperten, kurzerhand den Mund zuklebte, wirkt dagegen wie eine Methode der Reformpädagogik.
Grundschule in einer relativ großen Stadt. Gelangweilt auffälliger, sehr stiller und ein wenig unglücklich erscheinender, leistungsmäßig aber sehr guter Schüler wird einer allgemeinen Diagnostik unterzogen, u. a. einem IQ-Test. Ergebnis: Hochbegabung, überall deutlich über 130. Die Mutter ist so “dumm”, dies der Lehrerin zu berichten, in der Hoffnung auf Besserung des Verhaltens und des psychischen Zustandes des Kindes durch ein bisschen Förderung.
Das Gegenteil geschieht: ein Leidensweg beginnt.
Gemobbt wird das Kind nicht durch seine Klassenkameraden, sondern durch die Lehrerin. Ich kann und will das alles gar nicht schildern. Nur den Höhepunkt des Ganzen: Der Schüler hatte sich unterkühlt, musste häufiger zur Toilette. Vor der Klassenarbeit war er noch gegangen, aber es reichte nicht: er musste während der Stunde wieder. Trotz mehrfachen Bittens und Bettelns verweigerte die Lehrerin ihm bis zuletzt den Toilettengang. Schließlich machte der Junge in seiner Not unter sich – und musste danach noch drei Stunden lang, bis zur 6. Stunde, in seiner nassen Hose am Unterricht teilnehmen! Auf die empörte Reaktion der Mutter kam nur die Bemerkung, dass der Junge ein Attest hätte vorweisen müssen, um häufiger die Toilette besuchen zu dürfen.
Der Junge ging irgendwann morgens nur noch nach Erbrechen in die Schule.
Es wurde versucht, den Jungen an einer anderen Grundschule der Stadt unterzubringen, was durch Anrufe seiner Lehrerin und des Schulleiters, die den Schüler diffamierten, erfolgreich boykottiert wurde – und die Situation des Jungen verschlimmerte, weil die “Pädagogen” den Versuch, die Schule zu wechseln als persönliche Beleidigung erlebten.
Ein verzweifelter Anruf der Mutter beim Schulamt, der vorgesetzten Behörde, ging so aus: “Das kann ich mir nicht vorstellen in dieser Schule. Gute Frau, regen Sie sich gefälligst nicht künstlich auf!” Der Mensch vom Schulamt macht übrigens Sport mit dem Direktor der Schule: Was kann man da erwarten?
Da steht man hilflos und beißt in die Tapete.
Schließlich wurde dem Jungen verboten, im Unterricht noch etwas zu sagen.
Die Situation eskalierte daraufhin weiter bis dahin, dass ein schon zugesagter Platz an einem sehr guten Gymnasium, das auch hochbegabte Schüler fördert, ohne Begründung wieder abgesagt wurde, so dass der Junge im Moment ohne Perspektive auf einen Platz an einer weiterführenden Schule da steht. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Die Mutter erreichte, dass der Junge nun eine Grundschule in einer angrenzenden Stadt besuchen kann. Der Junge lebt auf, wirkt wie befreit. Zu seinem Geburtstag hatte er die Freunde aus seiner alten Klasse eingeladen: Alle haben sie abgesagt. Begründung: Wenn die Klassenlehrerin erfahren würde, dass sie ihn besucht hätten, würden sie Schwierigkeiten bekommen.
Hugelgupf schrieb am 7. März 2009 um 22:51:
Und das ist auch Pädagogik in Deutschland 2008 gewesen. Inzwischen höre ich auch immer öfter von solchen Fällen – und ich frage mich immer, WARUM solche Lehrer das tun.
Gehen wir mal (dem restlichen Verhalten nach zu urteilen) davon aus, dass diese Lehrer egoistisch sind. Fragen wir uns nun: Was bringt es dem Lehrer, ein hochbegabtes Kind zu mobben? Es würde für den Lehrer ja sogar entlastend sein, so ein Kind nicht mehr in seiner Klasse zu haben! Soll es doch überspringen, dann kann der nächste sich damit rumschlagen. Natürlich sollte man sich informieren, ob dieser auch HB-Vorurteile hat, ansonsten steht wohl ein Schulwechsel an.
Da ich davon ausgehe, dass man die Lehrer nicht davon überzeugen kann, sich in Sachen Pädagogik über Hochbegabung zu informieren, könnte man dem Lehrer diesen Lösungsweg vorschlagen. Das ist zwar auch eine schlechte Lösung, es erspart dem jeweiligen Kind aber den Leidensweg. Und ich glaube, das ist die Hauptsache dabei. Es ist sozusagen vom Schlechten das Beste. Besser wär’s natürlich, den Lehrer zu überzeugen.
speybridge schrieb am 8. März 2009 um 13:44:
Oft geht es rein um Macht, das pure Durchsetzen bis hin zur (psychischen) Misshandlung.
In manchen Fällen, denke ich, dass die Lehrer psychisch gestört sind und selbst Hilfe bräuchten. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass bestimmte Auslöser – in diesem Falle, warum auch immer, die Tatsache der Hochbegabung – bei einer Lehrperson eigene traumatische Geschichten aktiviert und sie zu Ersatzhandlungen drängt.
Auf dem Wege der (sachlichen) Info über welches Thema auch immer kommt man da nicht weiter, da das Problem bei der betreffenden Lehrkraft auf einer anderen Ebene liegt. Wenn gütlich nichts zu machen ist, muss man den institutionellen Weg gehen und sich an die aufsichtführende Behörde bei den Regierungspräsidien wenden, da hilft nichts. Das, wie gesagt, nicht nur bei Problemen dieser Art mit hochbegabten Kindern, sondern auch bei allen anderen. Da spielt eine Art Sadismus eine Rolle, bei der es geboten zu sein scheint, Schlimmeres zu verhindern – bei allen Kindern, die dieser Lehrkraft ausgesetzt sind. In geschildertem Fall wurden nachher ja alle Schüler der Klasse (erfolgreich) unter Druck gesetzt, damit sie nicht zum Geburtstag des Jungen gehen. Das darf einfach nicht sein!
Gruß am Sonntag
speybridge