Archiv für die Kategorie Hochbegabung

Aus dem Leben 5a

Manchmal wird aus einer Begegnung eine gute, fruchtbare Fortsetzungsgeschichte.

Einige Tage nach der im letzten Beitrag geschilderten Messestand-Begegnung mit der jungen Frau, die wegen ihres Bruders keine Klasse überspringen durfte, war sie plötzlich wieder da an unserem Stand.

Das Ganze habe ihr keine Ruhe gelassen, erzählte sie, deshalb sei sie wiedergekommen und sie habe die Hoffnung, vielleicht ein Stück weiterzukommen, wenn sie etwas darüber reden könnte.

Es stellte sich heraus, dass die Weigerung der Eltern, sie nicht überspringen zu lassen, weil das am Selbstwertgefühl ihres älteren Bruders gekratzt hätte, ganz viel in der jungen Frau angerichtet, ja zerstört und gebrochen hatte. Sie hatte dann zwar das Abitur bestanden, aber nur mittelmäßig, und danach nirgendwo richtig Fuß gefasst. Nach zwei wieder aufgegebenen Versuchen, zu studieren und einer abgebrochenen Lehre stand sie nun ohne greifbare Ausbildung da, jobbte so vor sich hin und war sichtlich ratlos, was denn noch so aus ihr und ihrem Leben werden könnte. Über eine besondere Begabung hatte sie sich nie wieder Gedanken gemacht.

Wir redeten lange. Als sie am Ende ging, wirkte sie … irgendwie aufrechter.

Es gibt viele solcher Geschichten von Erlebnissen, die Kinder und Jugendliche brechen können und die Identitätsfindung (junger) hochbegabter Erwachsener extrem erschweren. Diese Geschichten gehen mir immer ganz besonders an die Nieren …

Büchertipps für Erwachsene, die z. T. spät von ihrer Hochbegabung erfahren haben:

Manon Garcia: Sind Sie noch Katze oder schon Hund?: Hochbegabung nach dem Testergebnis

Andrea Brackmann: Ganz normal hochbegabt: Leben als hochbegabter Erwachsener

Catharina Fietze: Kluge Mädchen. Frauen entdecken ihre Hochbegabung

 

Aus dem Leben 5

Wieder eine Begegnung am Messestand der DGhK:

Eine junge Frau bleibt vor unserem Stand stehen und schaut versonnen zu uns herüber. Ich spreche sie an und frage sie, ob sie das Thema interessiere und sie etwas damit zu tun habe.

“Ja, das kann gut sein. Ich habe mich in der Schule immer schrecklich gelangweilt. Dann war es endlich so, dass die Schule meinte, ich solle eine Klasse überspringen. Das fand ich toll, und das hätte ich auch sofort gemacht. Und dann gab es ein Problem: Mein älterer Bruder war zwei Klassen über mir und sollte sitzenbleiben. Wenn ich gleichzeitig gesprungen wäre, dann hätte ich mit ihm in derselben Klasse gesessen. Mein Bruder hat dann einen unglaublichen Terror zu Hause gemacht, weil er das demütigend fand und er das nicht wollte, ich überspringen, er wiederholen und dann mit mir in derselben Klasse. Meine Eltern haben mir deshalb das Springen verboten.”

Fortsetzung folgt.

 

Aus dem Leben 4

Messestand. Eine Mutter mit einem Sohn und einer etwas älteren Tochter.
Mutter bleibt stehen und sagt provozierend zu mir: “Weniger ist manchmal mehr!”
Ich antworte: “Ach, wenn aber viel da ist, macht es keinen Sinn, das “wenig” zu nennen und zu ignorieren, dass es viel ist.”
Mutter knurrt und zerrt den Jungen vom Stand weg, der sich eigentlich gerne alles genau ansehen möchte. Mutter ist unwirsch und wendet sich ab. 
Ich frage mit Blick auf die Kinder: “Ich habe den Eindruck, dass Sie durchaus mit dem Thema zu tun haben.”
Mutter zeigt, schon im Weggehen, auf den Jungen: “Ja, der hier und sein Bruder.”
Das Mädchen hatte schon die ganze Zeit interessiert unsere Broschüren gemustert.
”Und ich?”, fragt sie irgendwie traurig – und wird weggezogen.

Fortsetzung folgt.

 

Aus dem Leben 3

Mutter am Telefon: “Mein Sohn, der is 8. Der hat große Probleme inne Schule. Der is unruhig, langweilt sich den janzen Tach und macht nur Ärger. Der ist jetestet worden, weil die datt so wollten von der Schule, und der hat so 135. Watt datt bedeutet, weiß ich nicht. Ich soll Sie anrufen, haben die jesacht. Da bin ich.”

Ich: “Aus dem Testergebnis geht hervor, dass Ihr Sohn hochbegabt ist.”

Mutter: “Nä, nä. Hochbegabung. Bleiben Sie mir wech! Datt is doch datt Letzte. Da will ich nix mit zu tun haben. Datt bringt nur noch mehr Ärger!”

Manchmal fällt dann auch mir nichts mehr ein …

Fortsetzung folgt.

 

Aus dem Leben 2

Nächste Geschichte aus dem richtigen Leben, erfahren in einem der Beratungsgespräche am DGhK-Stand auf der Messe Mode Heim Handwerk in Essen:

Der 8-jährige hochbegabte Kai hat im letzten Jahr über 100 Bücher gelesen. In seiner Grundschule bekommen die Kinder immer eine kleine handgeschriebene Urkunde, wenn sie ein Buch gelesen haben. Für Kai hat die Lehrerin sich angewöhnt, immer dieselbe Urkunde ohne Buchtitel auf Vorrat lieblos auszudrucken und ihm ohne Kommentar, ohne Nachfrage, ohne Lob auf seinen Platz zu knallen, wenn er wieder ein Buch geschafft hat.
Macht Kai jedoch in irgendeinem Fach einmal einen Fehler, muss er nach vorne zur Tafel kommen, die Lehrerin wiederholt den Fehler noch einmal und lässt ihn von allen herzhaft auslachen.

No comment.

Fortsetzung folgt.

 

Aus dem Leben 1

Im Moment läuft in den Essener Grugahallen die große Konsumentenmesse Mode Heim Handwerk. Wie in den letzten Jahren auch haben wir von der DGhK Rhein-Ruhr dank der wunderbaren Kooperation der Messe mit der Selbsthilfedachorganisation Essens, der WIESE, einen großen Stand dort. Kostenlos!

Was man in der Beratung dort von Eltern so aus dem “richtigen Leben” erfährt, das spottet oft jeder Beschreibung.

Eine völlig verunsicherte Mutter erzählt Folgendes: Der testende Psychologe habe den IQ-Test ihrer Tochter (genau 130) so kommentiert: "Hochbegabt ist sie nicht. Das fängt erst AB 130 an. Sie ist nicht unintelligent, wird durch die Schule kommen, aber keine guten Noten haben."

Fällt einem dazu noch etwas ein???

Könnte bitte jemand Leute wie diesen Möchtegern-Psychologen ganz ganz schnell auf dem Sondermüll entsorgen …

Fortsetzung folgt.

 

Der Blick auf das Kind

Die Mainpost veröffentlicht einen Bericht über die neue Direktorin einer großen Grundschule. Ein Teil des Interviews mit der Dame gefiel mir gut:

“Manchmal stellt sich bei solchen Tests heraus, dass ein Schüler hochbegabt ist. Wie gehen Schüler, Eltern und vor allem auch die Schule mit einem solchen Ergebnis um?

Albert: Interessant ist folgender Unterschied in der Verhaltensweise der Kinder: Die Jungs fielen vorher oftmals auf, da sie den Unterricht störten. Die Mädchen klagten zu Hause über Langeweile im Unterricht, verhielten sich in der Schule aber eher unauffällig. Wenn ein Schüler mit dem Testergebnis Hochbegabung kommt, so schaue ich mir die Kinder erst einmal an. Bei vorliegender Hochbegabung ist eine individuelle Förderung für diejenigen wichtig, die mehr wollen. Man muss dann genau überlegen, welche zusätzliche Förderung für das Kind gut ist, zum Beispiel eine privat organisierte Gruppe oder der Besuch einer Kinderakademie. Andere Kinder sind nach dem Test einfach nur froh zu wissen, was mit Ihnen los ist und wollen weiter so zur Schule gehen wie bisher.”

Eigentlich ganz schlicht, diese Antwort – und wiederum “einfach nur” der differenzierte Blick auf das einzelne Kind mit der pädagogisch motivierten Frage: “Was braucht dieses Kind?”

Nicht mehr.
Nicht weniger.

 

Frage aller Fragen

Der Hochbegabtenzweig am Auguste Viktoria-Gymnasium (AVG) in Trier feierte sein 5jähriges Bestehen, wie volksfreund.de berichtet.

“Dem Fazit des Schulleiters stimmen alle Beteiligten zu: ‘Die Hochbegabtenklasse tut der ganzen Schule gut!’ …
Das Wichtigste sei, dass der Blick der Lehrer auf die einzelnen Schüler differenzierter geworden sei. ‘Die Hochbegabtenschule ist ein Motor für individuellere Förderung’, sagt Mommenthal-Aymanns. ‘Was braucht das einzelne Kind?’ Antworten auf diese Frage zu finden, sei der Leitgedanke sowohl in den Hochbegabten- als auch in den Regelklassen, betont Schulpsychologin Kerstin Sperber.”

Ich finde das alles sehr lobens- und nachahmungswert, aber ganz ehrlich: Es erschreckt mich auch:

  1. Ist der “differenzierte Blick” auf die Schüler nicht eine Selbstverständlichkeit für alle Lehrer, die Voraussetzung für den Lehrerberuf, das tägliche Brot in der Schulpraxis?
  2. Müssen Lehrer nach Studium, Referendariat und etlichen Berufsjahren tatsächlich erst durch einen Hochbegabtenzweig auf die Idee gebracht werden, dass die aller-, aller-,  allerwesentlichste Frage in ihrem Beruf die folgende ist:

                                        “Was braucht das einzelne Kind?”

 

Und wieder: Hochbegabung = Sorge = Krankheit

Es mag ja sinnvoll sein, Internetplattformen einzurichten wie jetzt neu die Sorgenkids. Und es mag ja auch sein, dass ich überempfindlich bin. Aber beim Lesen der Einladung auf dieses Forum bei unternehmen praxis sträuben sich bei mir wieder alle Nackenhaare.

So fängt es schon an: “Eltern, deren Kinder von einer gesundheitlichen Einschränkung betroffen sind, können sich über das neue Internetforum www.sorgenkids.de austauschen und Expertenrat bekommen.”

Und dann: “Kinderkrankheiten, Allergien, Unverträglichkeiten, Gewichtsprobleme oder orthopädische Leiden ebenso besprochen wie Hochbegabung, ADHS, psychische Erkrankungen oder Entwicklungsstörungen. Auch chronische, lebensbedrohliche oder -verkürzende Krankheiten gehören zu den Themen.”

Hilfe!! Mein Kind ist krank!! Es hat mehr Potenzial als die anderen!!

Gifted children” heißen hochbegabte Kinder im englischsprachigen Raum: “Beschenkte Kinder”, simpel übersetzt.
Bei uns sind sie krank oder werden krank gemacht. Sind ein Problem, das man in solchen Foren zwischen Masern und Bulimie wälzen muss.

Natürlich gibt es Probleme bei Hochbegabung. Aber in den allermeisten Fällen sind nicht die hochbegabten Kinder das Problem, sondern die “Normalen”, die in ihrer Engstirnigkeit nicht in der Lage sind, über ihren Tellerrand zu blicken und so diese Kinder oft in eine Enge pressen, in der man tatsächlich krank werden kann. Es verlangt niemand von der Mehrheit der “Normalen”, Hochbegabte unbedingt verstehen zu können. Hochbegabten jedoch ein Minimum an menschlichem Respekt und Existenzberechtigung zuzusprechen, das kann erwartet werden. Dazu gehört auch ein Fordern und Fördern, das ihnen entspricht, aber jedenfalls und absolut und überhaupt und ganz und gar nicht, sie zu “Sorgenkids” zu machen!

Ich zitier’ mich hier mal selbst:
”Seit vielen Jahren gehe ich nun mit dem Thema Hochbegabung um. Es gibt doch immer wieder noch etwas, worüber ich nur den Kopf schütteln kann:
Mutter: ‘Mein Sohn hatte Schwierigkeiten. Da haben wir ihn vor ein paar Jahren testen lassen. Er war hochbegabt. … Jetzt ist er immer noch hochbegabt. Können Sie mir nicht ein Medikament nennen, damit das endlich verschwindet?’
Man stelle sich vor: Die Mutter von Boris Becker geht zum Arzt: ‘Herr Doktor, können Sie mir nicht für mein Bobbele eine Pille geben, damit er nicht mehr so gut Tennis spielen kann?’”

“Die Dummheit ist die sonderbarste aller Krankheiten. Der Kranke leidet niemals unter ihr. Aber die anderen leiden.”  (Paul-Henry Spark).

 

Zwischendurch was zum Denken

Heute nur der Hinweis auf einen Hinweis auf ein interessantes Interview – und zwar auf dem Blog THEMAHOCHBEGABUNG.

Und? Gibt’s Zustimmung dazu oder Ablehnung oder Zweifel an der Differenziertheit des Ganzen oder was oder?

:-)