Hauptsache grell und laut
Das Spektrum der Schlagzeilen von Artikeln, die sich des Themas Hochbegabung erbarmen – und selbst oft erbarmungswürdig sind – ist breit, aber fast immer schrill.
Neuestes Beispiel: WUNDERKIND – Elise verblüfft die Welt mit einem IQ von 156 (DER WESTEN), wobei Elise zwei Jahre alt ist und in England wohnt. Toll. Super. Spitze. Ich warte auf die Nachricht, dass ein Embryo…
Also: Alles da an Großbuchstaben von “Genie”, “Kleine Einsteins” bis hin zu Hochbegabungs-Hysterie, einem Artikel, der letzte Woche in den Westfälischen Nachrichten erschienen ist.
Alles entweder schrill toll nach dem Motto: “Kuck mal, was für seltene komische Tiere es doch gibt” oder schrill Scheiße: “Die Eltern wollen doch nur aus ihren schlecht erzogenen Kindern was Besonderes machen und angeben.”
Beides ist natürlich bei der Aufklärung über das Phänomen Hochbegabung mit all dem, was dazugehören kann, keinesfalls hilfreich.
Ich kann es auch deutlicher und persönlicher sagen: Beides hängt mir im Moment zum Halse raus!
Ja, es gibt sie, die Eltern, die meinen, wenn ihr Dreijähriger bis 10 zählen kann, müsse er dringend auf Hochbegabung getestet werden.
Ja, es gibt sie, die Eltern, deren Kinder einfach nur schlechtes Benehmen an den Tag legen und gerade darum der Hochbegabung verdächtigt werden nach dem Motto: “Der Schackeliene is immer so lankweilig und da stört die eben. Is ja auch kein Wunder bei dem Zeuks, dat die da lernen soll. Die hat watt Besseres verdient. Dat is nämlich ne wirklich hoch Begabte. Aber wie bring isch dat dem Lehrer bei?”
Es gibt sie – ja, leider – und sie stehlen auch mir ab und an Zeit, wenn sie “ganz dringend” Beratung einfordern.
Solche Eltern sind aber in der absoluten Minderzahl – und dazu meist sehr leicht zu durchschauen.
Das große Problem bei solchen Artikeln wie dem zur “Hochbegabten-Hysterie” ist allerdings, dass sie alten Vorurteilen Nahrung geben – und deswegen den wirklich Hochbegabten in ihrem oft so schwierigen (Schul-) Alltag in keiner Weise gerecht werden bzw. ihnen sogar schaden.
Zum Artikel Hochbegabungs-Hysterie gibt es tatsächlich einen lesbaren Kommentar, geschrieben von “lilakuh”:
”Das ganze Gerede um HB Hysterie ist doch ein klares Zeichen für das Versagen des Schul- /Bildungssystems. Könnte man sich als Eltern darauf verlassen, dass besondere Begabungen bei Kindern in Kitas und Schulen erkannt werden, müssten sich die Eltern keine Gedanken darum machen, und so wären die Praxen bei den Testpsychologen sicher nicht ganz so voll. Stattdessen ist es doch ein Fakt, dass HB am allerwenigsten in den Schulen erkannt werden. In meinen Augen selbstverständlich, dass ich beginne, mir selber Gedanken zu meinem Kind zu machen. Es ist doch wie in der Arztpraxis. Das Vertrauen in die Ärzte geht zunehmend zurück, und so informieren sich die Patienten vorab auf allen möglichen Kanälen und kommen mit vorgefertigten Diagnosen, was den Ärzten oft genauso wenig gefällt wie den Lehrern in der Schule, wenn die Verdacht auf HB geäußert wird. … Das Ausrufen einer Hysterie ändert nichts an der Tatsache, dass es tatsächlich viele alleingelassene Eltern und verzweifelte und gelangweilte und dadurch auffällige Kinder gibt in den Schulen.
Also: Je mehr Kinder auch in einer Art Hysterie dann tatsächlich erkannt werden, umso mehr Wissen über HB sich in den Köpfen der Bildungsverantwortlichen breit macht, umso besser für die tatsächlich hochbegabten Kinder.”
Ist wohl wie bei der Schweinegrippe: Lieber ein paar Verdachtsfälle zuviel auf den Virus testen als wirkliche Fälle übersehen….