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So kann es sein…

Im Archiv der Vereinszeitschrift der DGhK, dem “Labyrinth”, fand ich den Beitrag eines jugendlichen Teilnehmers am Rhein-Ruhr-Sommercamp 1993. Dieser Bericht zeigt ganz exemplarisch, wie unendlich groß die Motivation hochbegabter Kinder ist, wie unermüdlich und fast unerschöpfbar sie alle Anregungen aufnehmen, ohne eine Unterscheidung zwischen Lernen und Freizeit zu treffen: die Freude über den Besuch einer Kirmes und eines Erlebnisschwimmbades wird noch übertroffen von der Begeisterung über die Besichtigung einer Kläranlage. Das Sommercamp des RV Rhein-Ruhr wurde im August 1993 über 7 Tage mit 22 Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren in Bochum durchgeführt. Es stieß auf ein überraschend hohes Medieninteresse und brachte der DGhK während dieser Tage eine recht große Präsenz in Presse, Funk und Fernsehen ein.

 

Super-Sommercamp der DGhK
Das Ruhrgebiet erleben

 
Als ich im Naturfreundehaus Bochum-Hedtfeld ankam, wurde ich freundlich begrüßt. Thomas, den ich vom Universitären Sommercamp (Arnsberg) kannte, gab mir, zusammen mit Nils, sofort ein Zugehörigkeitsgefühl. Wir drei kamen auf ein Zimmer, nachdem wir uns alle miteinander bekannt gemacht hatten, die Presse- und übrigen Termine festgelegt worden waren, und wir diskutierten bis in den frühen Morgen.

Am zweiten Tag besuchten wir das Eisenbahnmuseum in Bochum-Dahlhausen. Zuerst wurde uns das Prinzip der Dampflokomotive erklärt. Mir gefiel das Schienenfahrrad am besten. Einfach spitzenmäßig!
Nachmittags waren wir im Wassermuseum Aquarius in Mülheim-Styrum, das ursprünglich ein alter Wasserspeicher war. Wir erhielten Magnetkarten, mit denen man Computer aktivieren konnte. Hatte man Fragen, z.B. über den Alltag im Klär-/Wasserwerk, richtig beantwortet, bekam man Punkte, die auf der Karte gespeichert wurden. Zum Schluss gab es darüber dann ein Zeugnis. Es war sehr interessant!
Am Abend ging’s zur Cranger Kirmes, der größten in Deutschland. Unsere Super-Truppe – Sabine, Kay, Berthold, Simon, Veit und ich – war auf der großen Autoscooterbahn, der riesigen Wildwasserhahn usw. Thomas war sogar auf der Achterbahn, die vier Loopings hatte. Zum Schluss gab es ein supertolles Feuerwerk!

Am dritten Tag machten wir eine Hafenrundfahrt in Duisburg-Ruhrort. Das war so interessant wie in Hamburg. Die Schlepper können bis zu 8000 PS haben. Uns sind zwei Tanker begegnet, deren Laufwege an Back- und Steuerbord unter Wasser standen.
Nachmittags waren wir zum Picknick auf der Alsumer Halde. Dort sahen wir einen krassen Unterschied: auf der einen Seite des Berges nur Industrie, auf der anderen nur Felder und Bäume. (Ich nahm mir ein paar stachelige Gewächse mit.)
Anschließend kam das Beste: Uns wurde von einem Fachmann die Kläranlage “Kleine Emscher” erklärt. Die Anlage hat zwei Faulbehälter, in denen bestimmte Bakterien dem Klärschlamm die lebenden Organismen entziehen. Oft fischt man tote Ratten aus einem Becken. Manchmal werden lebende Tiere angeschwemmt. Kürzlich war sogar ein Rehbock gerettet worden. Gerettete Hunde und Katzen werden weitestgehend den Besitzern zurückgegeben. Im vergangenen Jahr ist eine Leiche herausgeholt worden (wahrscheinlich hatte der Mensch Selbstmord verübt). Das Belebungsbecken ist für Mensch und Tier tödlich, da so viel Luft hineingeblasen wird.
Am Abend hielten wir Rückblick, besprachen den nächsten Tag und spielten wie jeden Abend Tischtennis, Fußball oder etwas anderes.

Am vierten Tag war die Stadtrallye angesagt: Mit der S-Bahn fuhren Thomas, Robert, Nils, Christian, Veit, Martin und ich zum Ruhrlandmuseum, Essen. Dort begleitete uns Frau Steinhard, die unsere Fragen ausführlich beantwortete. Wir sahen viele Steinarten, auch Bergkristalle. Besonders viel erfuhren wir über den Steinkohleabbau und wie die Arbeiter früher gelebt haben: Wir besichtigten die sanitären Einrichtungen, die Kleidung der Arbeiter (auch die Paradeuniformen), Feldflaschen. Dann sahen wir noch die Aufzugsschächte, die mit Stahl ausgekleidet waren.
Frau Steinhard erzählte uns, dass Ende des 19. Jahrhunderts Gaststätten nur von Vertrauenspersonen geführt wurden, da die Bergleute manchmal betrunken zur Arbeit kamen. Die Wirte dienten als Spione/Spitzel. Der betrunkene Arbeiter bekam eine rote Karte; das hieß, er musste sich beim Chef melden. Gelbe Karten bedeuteten: krank; grüne: o. k. Es gab noch andere Farben, deren Bedeutung ich nicht mehr weiß. Die Marken hingen an einem mit 4500 bis 6000 Haken bestückten Balken. Als die Arbeiter schließlich die Spione enttarnten, gründeten sie sogenannte Schnapstheken, in denen sie unbeobachtet trinken konnten.
Anschließend besichtigten wir die Margarethenhöhe, eine von Margarethe Krupp gestiftete, im süddeutschen Stil errichtete Wohnsiedlung für Krupp-Arbeiter in Essen. Zuerst wurden nur Ein-, später auch Mehrfamilienhäuser gebaut. Ein Haus kostete im Jahr 1930 circa 7500 Mark. Die Miete betrug 7 Mark pro Monat. Jedes Haus hatte eine Heizung und ein Kühlsystem sowie einen Garten. Auf dem Marktplatz gibt es einen “Goldgräber-Brunnen“, der zur Einweihung der Margarethenhöhe gebaut worden war.
Am Abend fuhren wir zum Musical “Starlight Express” nach Bochum. Es handelt davon, dass ein Junge vom Rennen der verschiedenen Züge träumt. Das Titellied fand ich besonders gut! Es war superklasse!

Am fünften Tag waren wir im Bergbaumuseum in Bochum. Mit dem Fahrstuhl sind wir ungefähr 15 bis 20 Meter in die Tiefe gefahren; das war allerdings ein “Schauschacht”. Dann gingen wir durch einen Stollen. Zuerst durch einen Bereich in alter Bauweise: mit Holzstreben, dann durch einen mit umgeformten Eisenbahnschienenstreben. Dort war eine Bohrmaschine auf Rädern, die mit Pressluft betrieben, 2,50 Meter tiefe Löcher bohren kann. (Die Lautstärke war wie die von vier auf Maximum gebrachte 100 Watt Boxen.) Die Löcher wurden mit Sprengstoff gefüllt. Der Sprengmeister ging mit der Zündschnur in ungefähr 100 Meter Entfernung und zündete sie an. Zum Abbau der Steinkohle benutzte man Metallhobel oder -fräser. Zuletzt kamen wir in einen mit Beton ausgekleideten Stollen. Dort sind wir dann in einem Förderturm bis in 65 Meter über der Erdoberfläche gefahren und noch zehn Meter höher über Treppen gestiegen. Es war ein tolles Erlebnis! Danach machten wir Picknick auf der Wiese vor dem Museum und Spiele.
Nachmittags waren wir im Aquadrom in Bochum. Es war gigantisch! In der Turborutsche wurde man in der Kurve gegen die Wand gepresst. Es gab noch die Rutschen “Blauer Wal” und “Grüner Hai”. Das West 3-Fernsehen filmte uns und interviewte einige aus unserer Gruppe.
Am Abend fand eine längere Diskussion mit einer Vertreterin des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) statt.

Am sechsten Tag besuchten wir eine Großgießerei der Firma Mannesmann in Duisburg-Huckingen. In Hochöfen werden die Metallstoffe vom Gestein getrennt. Der flüssige Stahl wird zu Barren gegossen und in alle Welt exportiert. Das Werk hat einen eigenen Hafen. Wir betrachteten alles von den oberen Laufwegen aus, weil es unten wegen der glühenden Eisentropfen, die manchmal daneben fallen, zu gefährlich war; außerdem hatten wir Schutzhelme mit hygienischen Papierkappen auf.
Am Nachmittag waren wir im Großrohrwerk Mülheim der Firma Mannesmann. Wir mussten erneut Schutzhelme aufsetzen und wegen der Lautstärke Ohrenstöpsel nehmen. Im Werk sahen wir, wie die Stahlbarren bis zu 160 Meter Länge gewalzt wurden; danach wurden die Platten geschnitten, geformt und geschweißt. Wir sahen auch, wie nahtlose Rohre gefertigt wurden. Der Stahl hat eine Temperatur von 2400 Grad Celsius, wenn er verarbeitet wird. Es dauert 24 Stunden, bis ein Barren fertig ist. Nach der Verarbeitung haben die Rohre noch eine Temperatur von 1800 Grad Celsius; sie werden daher in den Kühlraum gelegt.
Abends wurde die Stadtrallye ausgewertet, und die Fotos wurden gezeigt.

Alles in allem haben wir sehr viel gelacht, sehr viel erlebt, vertrugen uns gut, hatten nette und geduldige Ansprechpartner, freundliche Herbergseltern und gutes Essen!!!
Allen Initiatoren an dieser Stelle nochmals meinen herzlichen Dank!!!

Das war ein HERVORRAGENDESSUPERTOLLESFANTASTISCHESSPITZENMÄßIG gutes Sommercamp!

Lars-E. S. (30. August 1993), erschienen im Labyrinth Nr. 41, 16. Jahrgang, Oktober 1993

 

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