Artikel

Wenn die Kuh vom Sonntag spricht

9. September:
Hochbegabung in der Fachpresse: Heute gibt es einen Artikel über einen hochbegabten Jungen in der Bildzeitung zu bestaunen.

Titel des sprachlich und inhaltlich hervorstechenden Beitrags: Dieser hochbegabt Junge soll in die Psychiatrie.

Natürlich, wohin denn sonst? Ist doch immer beruhigend, wenn Spezialisten Bescheid wissen.

“Dieser hochbegabt Junge” – genau so geschrieben und gleich mehrfach so zu lesen: Der Autor scheint zumindest das nicht zu sein: ein “hochbegabt Junge”. Er ist voll nommaal.

MannMannMannMannMann …

P.S. am Abend: Die große Überschrift ist nun korrigiert, die identische Bildunterschrift wenig darunter jedoch nicht. Dazu reicht es halt dann doch nicht … Tja!

Übrigens: Spannend ist auch der Abschnitt unter dem Artikel mit dem Titel: “So erkennen Sie, ob ihr Kind hochbegabt ist”. Das “Sie” schafft der Autor so gerade noch, groß zu schreiben, zum großen “Ihr” reicht es dann wiederum nicht. Ja, ja, die Puste … 
Außerdem: Ein “Erkennungsmerkmal” für Hochbegabung ist laut BILD ein “übernormaler Wortschatz”. “Übernormaler Wortschatz”! Was soll denn das sein? Kann mir das einer erklären?
Echt unternormal, echt aber auch!

10. September
Noch’n P.S – am nächsten Morgen:
Einen solcher Artikel wie den in BILD gestern, den sollte man eigentlich nur ignorieren. ABER: Er hat deutliche Auswirkungen auf Volkes Denken und Tun, das sollte man nicht ignorieren. Sichtbar wird das schon an etwas so Unbedeutendem wie meiner Blog-Statistik von gestern. Ich hatte noch NIE Besucher auf meiner Seite, die von Suchworten kamen wie: “krankhaft hochbegabt”, “irre + Hochbegabung”, “genial und wahnsinnig”, Irrenanstalt + Hochbegabung”, “hochbegabt in die Psychiatrie”, “zu klug ist irre”. Gestern war das der Normalfall.
BILD macht Meinung.
Einige hochbegabte Kinder werden sicherlich Auswirkungen dieses Artikels in ihrem Umfeld konkret zu spüren bekommen. Ich wette drum: Sätze wie “Du gehört doch auch zu den Irren” oder “Wird Zeit, dass Du auch in die Klapse kommst” (und andere in der Art) werden fallen heute!
Herzlichen Dank BILD!

 

28 Kommentare zu “Wenn die Kuh vom Sonntag spricht”

  1. Gustav Wehner schrieb am 11. September 2010 um 20:44: 

    Was wundern wir uns über die Kuh, die sich bildungspolitisch auf das Eis verirrt hat und die wir dort nicht mehr herunterbekommen. Deutschland mausert sich vom Volk der Dichter und Denker zum Volk der intellektuellen Proleten. Das Federvieh zeigt sich aber nach der Mauser in neuem Glanz, stößt es doch verbrauchte Federn ab, wir aber verlieren mit jeder Mauser an Bildungssubstanz. Das ständig nach unten korrigierte Mittelmaß ist im deutschen Bildungswesen das Maß aller Schüler. Zu kluge Schüler stören, auch deshalb, weil Kindergärtnerinnen und Grundschullehrerinnen in Deutschland – nicht jedoch in den Ländern, auf die wir gerne herabblicken – in ihrer Ausbildung gar nicht oder kaum an das Thema Erkennen von hochbegabten Kindern herangebracht werden.
    Selbst der Besuch eines Gymnasiums garantiert nicht mehr ein Mindestmaß an humanistischer Bildung und Demokratie- und Sozialkompetenz. Es werden zwar kaum BILDungsbürger, aber sie mutieren mehr und mehr zu PROlobürgern, die sich nachmittags erst das Assi-TV reinziehen bevor sie einen Gedanken an Bildung verschwenden. Andere Völker sind stolz auf ihre geistigen Eliten und fördern sie. Wir haben es zugelassen, dass die PRIVATEN mit ihren Soaps bildungs-und anregungsarme und teilweise realitätsferne Familien mit ihrem Anspruchsdenken zum neuen Leitbild der jungen Gesellschaft gemacht haben und damit ordentlich Werbekasse machen. Unsere Politiker haben es zugelassen, obwohl sie in den USA sehen können, was Kommerzfernsehen aus den Bürgern macht, die eigentlich keine mehr sind, sondern nur Stimmvieh.
    Aber wie können wir von unseren Politikern Format in der Bildungspolitik verlangen, wenn sie so schwach sind, wie sie sich auch aktuell zeigen. Da kommen sie auf lauter undemokratische Ideen, weil ein unglücklich formulierender Späthugenotte ihnen Angst macht. Wäre die politische Bildung in den Schulen ordentlich und wäre das öffentlich rechtliche Rundfunkwesen nicht der letzte – immer schwächer werdende – Hort demokratischer Bildung in den Massenmedien, wären Lehrer und Eltern, aber vor allem Politiker, Vorbilder in Demokratie und Leistungsbereitschaft, dann könnte man sich mit unangenehmen Meinungen auseinandersetzen, statt die Probleme zu verneinen. An sich bietet diese unselige Diskussion auch bildungspolitische Chancen. Wir müssen viele dieser Kinder gegen den Willen der Eltern in unsere Gesellschaft integrieren. Dazu braucht es guten Willen, gut gebildete und ausgebildete Lehrkräfte ab Kindergarten, aber vor allem viel Geld. Und das teilen uns die Politiker zu, aber dazu müssen sie zunächst verstehen. Aber wie sollen sie, die Jüngeren sind Kinder dieses Bildungssystems. Da beißt sich die Katze in den Schwanz…. Aber es geht kein Weg daran vorbei, dass wir beginnen das enorme Potential der Einwandererkinder und der hochbegabten Kinder zu fördern und damit für unsere Volkswirtschaft sinnvoll einzusetzen. Nur mit Hartz-IV-Almosen bringt man eine Volkswirtschaft nicht weiter. Auch diese Erkenntnis wird von den Medien nicht vermittelt. Wie auch? Volkswirtschaftliche Grundkenntnisse in einer Show für die Massen. Welche Herausforderung…
    Wollen wir die bildungspolitische Kuh vom Eis bekommen, dann brauchen wir vor allem einen – leider noch weit entfernten – bildungspolitischen Konsens, um in einer Richtung zu ziehen, sonst zerreißen wir die Kuh auf dem Eis. Gäbe das eine Schweinerei…..

  2. speybridge schrieb am 15. September 2010 um 10:00: 

    Dem habe ich – leider – nichts hinzuzufügen und auch nicht wirklich entgegenzusetzen.
    In der nächsten Woche werde ich für die DGhK in NRW im Schulministerium Düsseldorf an einer Bildungskonferenz teilnehmen unter Leitung der neuen Schulministerin Löhrmann. Bin gespannt…
    Viele Grüße nach Oldenburg
    speybridge