Nicht nur in der Kirche: Immer und überall
Für all die Menschen, die es nun mit und mit wagen, in die Öffentlichkeit zu treten und von den von ihnen erlebten sexuellen Übergriffen und Vergehen durch Vertreter der Kirche, Priester, Ordensleute etc., zu reden, habe ich hohen Respekt. Ich hoffe, dass die Aufklärungswelle zu sexuellen Straftaten, die die Kirche momentan überrollt, wirkliche und nachhaltige Konsequenzen haben wird! Respekt sei der Regensburgerin Monika Preis gezollt, von deren Bemühungen und Ängsten in dem Zusammenhang die SZ berichtet: Kirche und sexueller Missbrauch – ”Mein Mut ist wirklich dahin”. Ihr wünsche ich neuen Mut und viele Mitstreiter/innen!
Aber: sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen drohten und drohen Mädchen und Jungen immer und überall. Das ist nicht übertrieben.
Und nicht zu vergessen: In den immer noch allermeisten Fällen handelt es sich um die eigenen Familienmitglieder, die zu solchen Taten fähig sind.
Ich kenne viele Leute. Männer sind ja nun meist nicht besonders kommunikativ, was solche Themen angeht. Was ich aber von Frauen, auch aus meinem engsten Umkreis, im Laufe der Jahre so erfahren habe, das spottet jeder Beschreibung. Und das von so vielen Frauen, dass ich es gar nicht fassen kann.
Da sind zunächst tatsächlich die Übergriffe unterschiedlichster Heftigkeit von Vätern, Onkeln, Nachbarn und sogar Brüdern. Und wenn es nur – wie mir eine Mutter letztens berichtete – so ist, dass der Nachbar das 4jährige Mädchen nicht einfach so hochhebt, um ihm über den Zaun zu helfen, sondern es nimmt mit einer Hand oben zwischen den Beiden – und es dann auch da erst gar nicht wieder loslässt. Wo fangen sexuelle Übergriffe an? Das geht dann aber in anderen Fällen bis hin zu jahrelangem regelmäßigem Missbrauch, weil die Mutter krank ist oder sich verweigert. Oder zusätzlich.
Ich habe viele Jahre in einer Beratungsstelle gearbeitet und erinnere mich sehr gut an den Schock, den damals ein Telefongespräch in mir auslöste, in dem mich ein Mann mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt fragte, ob er seine 2jährige Tochter schon jetzt “benutzen” dürfte, oder ob er noch warten müsse, bis sie 3 Jahre alt sei.
Viel höre ich auch von Vergewaltigungen eben mal so nach dem Motto: Zur falschen Zeit am falschen Ort. Da handelt es sich um eine Vergewaltigung durch einen Busfahrer an einer dunklen Haltestelle abends allein im Bus, durch irgendjemandem in einem Parkhaus, einem Friedhof, einer Toilettenanlage, einem Einkaufszentrum.
Das alles ist Realität, mit der – vor allem, aber nicht nur – Frauen immer rechnen müssen. Jede Naivität ist da unangebracht.
Ich selbst habe im Alter von 18 Jahren einmal unglaubliches Glück gehabt: Ich wollte allein ein Berliner Museum besuchen. Das lag in einer weitläufigen Grünanlage. Nur eine mehrspurige Straße war in der Nähe und irgendwo der Eingang zu einer U-Bahn-Station. Zum meinem Unglück war das Museum geschlossen. Absolut kein Mensch weit und breit. Da tauchte aus dem Nichts ein männlicher Radfahrer auf – offensichtlich betrunken. Er fuhr mir nach, griff nach mir und riss an mir. Ich lief schnell durch den Park – Richtung U-Bahn, aber auf dem Rad war der Mann einfach schneller. Dann packte er mich so an der Schulter, dass ich stolperte und hinfiel. Ich war in Panik. Das war so ein Moment, in dem die Welt stillsteht und unterzugehen scheint. Und dann das: Durch den Ruck meines Fallens – er hatte mich noch an der Schulter gepackt – fiel der Man von Fahrrad, besoffen, wie er war! Das hat mich gerettet. Er rappelte sich zwar wieder auf, war aber einfach einen Tacken zu betrunken, um schnell genug zu reagieren. Das war meine Chance – und ich habe sie genutzt. Angekommen in der rettenden U-Bahn-Station musste ich mich erst einmal übergeben.
Letztlich ist mir gar nichts passiert. Eines aber ist klar und eindeutig und immer noch gegenwärtig: In dem Moment war meine Kindheit unwiderruflich zu Ende. Die Welt hatte sich in einer Weise offenbart, die Grundvertrauen zerstört hatte und jegliche Naivität zukünftig verbot. Ich bin kein ängstlicher Mensch geworden, aber ein hochaufmerksamer, was Situationen angeht, in denen sich so Erlebtes irgendwie wiederholen könnte.
Die Traumata, die vergewaltigte Frauen (und Männer) ihr Leben lang mit sich herumschleppen, sind mit Worten nicht anschaulich zu machen. Das geht über Beziehungsstörungen, Schlaflosigkeit, Zwängen und Depressionen hin bis zu der Aussage einer nach außen sehr selbstbewussten und erfolgreichen Frau, verheiratet, Kinder, die sagt: “Damals ist meine Seele getötet worden, und ich habe mich nie wieder richtig lebendig gefühlt.”
Missbrauch ist Zerstörung von Leben.
Die Kirche sollte dem Leben dienen. Nicht das Leben missbrauchen. Nicht Missbrauch Vorschub leisten. Nicht ihn bagatellisieren. Niemals ihn dulden.