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England II – Splendid isolation: Der lange Weg nach Europa

Kennt jemand Trago Mills? Nein? Das ist eine echte Bildungslücke. Jeder, der Devon und Cornwall bereist – und nun auch Wales – sollte sich das “Vergnügen” antun, eine der Trago-Mills-Ramschwelten kennenzulernen. Vor allem die in Newton Abbot ist unvergleichlich: Stunden kann man in den riesigen Hallen beim Wühlen in billigem Zeugs verbringen – und ein Vergnügungspark ist auch gleich mit dabei gebaut, damit der Sonntagsausflug auch für die Kinder zum Erlebnis wird. Trago Mills hat immer offen…
Warum ich über Trago Mills schreibe, wenn das Thema Europa ist?
Das ist unverkennbar für jeden, der sich einer der Ramschwelten, die in riesigen Hallen und Gebäuden untergebracht sind, nähert. Auch da ist vor allem Newton Abbot unvergleichlich: Über einen Kilometer ist die Auffahrt zu Trago Mills dort lang – wie zu einem hochherrschaftlichen Palast – und alle paar Meter sieht man, wess’ Geistes Kind der Besitzer all dieser Herrlichkeiten, Bruce Robertson, ist: Riesengroße Plakate, Fahnen und was sonst noch künden laut und eindringlich und unübersehbar von der europafeindlichen (UKIP) des einflussreichen Mannes:

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Bruce Robertson ist natürlich eine Einzelperson, wenn auch eine bekannte, die eine sehr effektive und publikumswirksame Art gefunden hat, ihren Einfluss geltend zu machen. Er steht aber nicht allein. Die Europaskepsis der Briten ist überall zu finden. Die Ergebnisse bei der Europawahl (UKIP 16,5 % – und damit an zweiter Stelle nach den Konservativen mit 27,7 % und noch vor Labour mit 15,7 %) sprechen eine deutliche Sprache.
Selbst respektable, ansonsten sehr aufgeschlossene Menschen zucken zusammen, wenn man sie auf die EU und vor allem den Euro anspricht. Völlig irrationale Dinge kommen da zum Vorschein, durchaus mit der Entschuldigung, dass man wisse, dass das altes Denken sei, man aber nicht anders könne. Da ist historisch einfach noch kein Boden bereitet für ein “Aufgehen” in einem “europäisch-kontinentalen” Kontext. Das wird noch Zeit brauchen. Aber ob die Briten die tatsächlich haben angesichts der “prekären” wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihres Landes, das bleibt anzuzweifeln.

Viel hat sich allerdings im alltäglichen Leben schon verändert:
In der Wettervorhersage war es früher klar und eindeutig, dass wir armen Kontinent-Bewohner immer umrechnen mussten, wenn wir wissen wollten, ob Bikini-Wetter im Anmarsch oder Pullover angesagt war: Grad Fahrenheit hieß unser mathematisches Problem. Heute kaum mehr ein Thema. Jeder redet von Grad Celsius, höchstens in einem Nebensatz ist dann noch eine Umrechnung in Fahrenheit zu vernehmen. Thank you.

Gallonenpreise an den Tankstellen (1 Gallone = 3,78541178 Liter) gehören auch der Vergangenheit an. Vor 6 Jahren waren sie noch ab und an anzutreffen, vor 20 Jahren gang und gäbe. Der Liter ist an den Tankstellen angesagt. Viele Bewohner trauern allerdings deswegen und rechnen für sich immer noch den Literpreis in Gallonenpreis um… Für sie hat nur die Gallone eine sinnlich fassbare Bedeutung.
Im Pub trinkt man nach wie vor sein Pint. Dass sich das jemals jemals jemals ändern wird, das glaube ich allerdings nicht. Das ist, als würde man den Bayern ihr Maß wegnehmen. (Mit dem Pint kann ich übrigens wunderbar leben: Cheers!!)

Weitgehend tabu ist und bleibt allerdings eindeutig der Euro. Angesichts des Werteverfalls des britischen Pfundes, das um die Jahreswende schon mal 1:1 umgerechnet wurde, im Moment wieder etwas mehr, scheint mir das extrem kurzsichtig zu sein.

Die Meile mit ihren umrechnungsunfreundlichen 1,609344 km ist immer noch nicht kaputtzukriegen, obwohl es hier und da Ansätze gibt, das metrische System einzuführen. Diese Versuche werden jedoch, wenn sie bemerkt werden, schnell boykottiert. Das Ganze zeigt ab und an skurrile Züge:

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Hier scheint selbst das menschlichste aller menschlichen Bedürfnisse nicht so dringend gewesen zu sein wie das Verlangen, Recht und Ordnung auf der Insel wiederherzustellen. Na?? Stimmt die Umrechnung? Zu den äußerst gewöhnungsbedürftigen Maßeinheiten und ihren Umrechnungen ins metrische System gibt es hier ergänzende und erleuchtende Einsichten.

Britains’ Weg nach Europa ist noch lang. Jahrhunderte der splendid isolation inklusive eines gewissen Überlegenheitsgefühls sind nicht in ein paar Jahren wettzumachen. Das braucht Zeit – und, nach den politischen Skandalen der letzten Zeit, vielleicht den Einfluss einer jüngeren Generation. Ob diese allerdings die Offenheit und Entschlusskraft mitbringt, den eindeutigen “Anschluss” an EU und Euro durchzusetzen, das weiß ich nicht. Perspektivlosigkeit ist bei der englischen Jugend durchaus ein kritisches Thema, und die ist keine gute Basis, Kraftakte dieser Art zu vollbringen. Wir werden sehen.

Was übrigens gerne bleiben kann: Der Linksverkehr und die phantastischen Kreisverkehre. :-)

 

62 Kommentare zu “England II – Splendid isolation: Der lange Weg nach Europa”

  1. mouse click the following post schrieb am 11. November 2014 um 21:56: 

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