Der Graben wird tiefer
Wie die Kluft zwischen Armen und Reichen, Gebildeten und Ungebildeten etc. immer tiefer wird, so, habe ich den Eindruck, geschieht das auch im Bereich des Umgangs mit hochbegabten Kindern in unseren Schulen.
Damit meine ich z. B. die zunehmende Kluft zwischen strukturellen Verbesserungen in den Bundesländern etwa in Form von Heraushebung sog. “Leuchtturmschulen” oder Preisen, wie zuletzt den Schulpreis für Begabtenförderung, den NRW ausgelobt hat, und dem “Normalfall Schule”. Nicht, dass ich Preisverleihungen an beispielhaft gut arbeitende Schulen schlecht fände, im Gegenteil. Leider habe ich aber den Eindruck, dass solchen offiziellen Auslob-Aktionen eine zunehmend schwieriger werdende Situation vieler Hochbegabten im konkreten tagtäglichen Wahnsinn des Schulalltags entgegensteht.
Gerade in der letzten Zeit mehren sich wieder Klagen von Eltern, die Lehrer und Direktoren ihrer Schulen zitieren mit Sätzen wie “Damit wollen wir hier nichts zu tun haben!” oder “Der hat sich hier einzuordnen!” oder “Wo kämen wir denn hin, wenn wir da eine Extrawurst heranzüchten würden?” oder “Der IQ-Test ihres Kindes interessiert uns hier gar nicht. Papier ist extrem geduldig.” oder “Wir machen das hier wie immer. Wir machen das schon richtig. Ihr Sohn passt hier einfach nicht hin. Wir wollen ihn hier nicht mehr haben!” Zitate dieser Art könnte ich noch kilometerweise weiter anführen.
Vor allem hat die Anzahl der Fälle zugenommen, in der Direktoren/Lehrer Hochbegabte, meist Underachiever, mehr oder weniger unverhohlen von ihrer Schule “wegkomplimentieren”. Da stehen Eltern plötzlich vor der Tatsache, dass die Schule dermaßen zumacht, dass sie auf die Schnelle schauen müssen, wo sie ihr Kind schulisch neu unterbringen können. Wer aber nimmt freiwillig einen Hochbegabten mit schlechten Noten, den eine andere Schule loswerden will? Das wird natürlich nicht so gesagt, sondern es werden Ausflüchte gesucht wie: Die Klasse ist zu voll etc. Schwieriger wird das in Einzelfällen noch dadurch, dass Direktor X mit Schulamtsleiterin Y oder Direktor Z befreundet ist, über das Kind z. B. bei privaten Treffen herzieht – und andere Schulen dieses Kind auch zurückweisen, weil es wie ein Lauffeuer durch alle Schulen der Gegend geht, wie schrecklich dieser “angeblich hochbegabte” Schüler ist. Da beißen Eltern schon einmal in die Tapete, weil sie es – auch auf unterschiedlichen Instanzen – mit persönlichem Klüngel zu tun haben, bei dem die Verantwortliche beim Schulamt den Direktor X ja so nett und kompetent findet, dass sie sich gaaar nicht vorstellen kann, dass der einen Fehler macht.
Das ist alles nicht “legal”, aber es geschieht. Groß zu klagen, macht meist keinen Sinn, weil das Kind oft schnell neu untergebracht werden muss und das deshalb zeitlich nicht zu managen ist (hat mal jemand versucht, bei den Regierungspräsidien wirklich akut jemanden zu erreichen, der dann auch “dranbleibt”?) und bringt dem Kind auch nichts: Selbst wenn es dann auf der wegschickenden Schulen bleiben dürfte, weil objektiv gar kein Verfehlen des Kindes vorliegt, wäre doch die Situation so vergiftet, dass es keinen Sinn macht, dies durchsetzen zu wollen.
Preisverleihungen an einzelne Schulen machen sich gut, sind prestigeträchtig und toll fürs Image. Sie sind auch sinnvoll. Man darf nur den Blick nicht dafür verlieren, dass es an den allermeisten Schulen immer noch ziemlich elendig zugeht, was den Umgang mit hochbegabten Kindern angeht. Das gilt vor allem für die Underachiever, aber durchaus auch immer noch für die Hochleister, deren Leistung viele Schulen schlicht nicht wollen geschweige denn wertschätzen und fördern.
“Individuelle Förderung” wird z. T. ja sogar verbindlich (NRW) von den Schulen gefordert. Solange es jedoch keine wirklichen Überprüfungsstrukturen dafür gibt, solange ist gegen die Ignoranz immer noch zu vieler Lehrer kaum ein Kraut gewachsen.