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England I – Back again

Einen ganzen Monat Pause hat es in diesem Blog gegeben. Der Grund – Neidäußerungen erwünscht – liegt darin, dass wir 3 1/2 Wochen durch die Mitte und den Süden Englands gefahren sind. Wie immer haben wir an unterschiedlichen, diesmal vier und z.T. uns schon bekannten, Orten jeweils mehrere Tage verbracht, um ins Lokale einzutauchen und die Gegend zu erkunden.

Wir sind keine Britain-Neulinge. Es mag das 15. oder 16. Mal gewesen sein, dass wir die Insel besucht haben. Sie ist irgendwo unsere zweite Heimat, und ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass wir uns sehr wohl und auch im alltäglichen Sinne dort ganz gut auskennen. Allerdings haben wir eine Pause von immerhin sechs Jahren eingelegt, in denen wir zur Urlaubszeit Osteuropa erkundet haben.

Nun also wieder zurück nach England. Wir waren gespannt, was sich in diesen letzten sechs Jahren denn wohl auf dieser verrückten Insel verändert hat.

Es hat sich einiges verändert – nicht alles hat mir gefallen.

Zunächst das Positive:

  • die Seebäder in Cornwall und Devon wirken deutlich aufgewertet. Vieles ist aufgehübscht, angestrichen und modernisiert.
  • Das Pfund ist gefallen. Dadurch wird das generell recht hohe Preisgefüge, besonders, was Unterkünfte und die heftigen Eintrittsgelder angeht, erträglicher.
  • Das Essen ist z. T. gerade in den Pubs innovativer geworden – bei moderaten Preisen. Surprise!
  • Das gängige Pub-Essen ist gleichzeitig deutlich preiswerter geworden. Angebote wie “2 for 10” waren häufig.
  • Der Kaffee ist deutlich besser geworden, auch durch Ketten wie “Costa” und Co.
  • Es gibt Ansätze, dass man auch draußen essen und trinken kann. Die Gesetzgebung mit ihren merkwürdigen Lizenzbestimmungen macht es den Gaststätten und Cafés allerdings  noch schwer, Außengastronomie zu betreiben.
  • Endlich wird der Flut der Plastiktüten Einhalt geboten: Jute und wiederverwendbare Taschen sind in. Alle Supermärkte verzichten zunehmend auf das massenweise Ausgeben der Tüten und werben sehr aktiv für’s Wiederverwendbare. Teilweise (M&S und andere) wird auch schon Geld für die Tüten verlangt, zumindest im Food-Bereich. Immerhin soll sich die Zahl der Plastiktüten schon halbiert haben.
  • Es gibt mittlerweile tatsächlich Müllcontainer für Flaschen und Plastik.

Das, was mir nicht gefallen hat:

  • Der Generationenwechsel – eben auch im Tourismusbereich – zeigt Auswirkungen:
  • Viele B&Bs werden professioneller geführt im Sinne von routinierter. Viele sind mittlerweile eher guesthouses mit etlichen Zimmern. Das, was den Charme der B&Bs ausmachte, dieses halb-private Mitleben in einem Haus, geht dadurch doch leider deutlich verloren.
  • Die Engländer “von heute” sind nicht mehr so kommunikativ wie früher, wo man ständig und an allen Ecken ins Quatschen über Gott und die Welt kam. Das bedaure ich sehr, und das habe ich sehr vermisst. Es kommt sogar vor, dass Gäste eines B&B ohne Gruß in den Frühstücksraum kommen oder ihn so verlassen. Eine elementare Lebensneugier, die ich früher festgestellt habe, ist weg und durch einen leider etwas trüben, leicht depressiven Habitus ersetzt worden. Viele Leute wirken sehr auf sich bezogen und auch vereinsamt.
  • Es gibt mehr Rücksichtslosigkeit auf den Straßen. Vor allem auch Motoradfahrer üben z. T. einen ganz schönen Terror aus.
  • Die Teekultur dieses Landes ist mittlerweile komplett hin. Wer losen Tee trinken oder auch nur kaufen will, ist zunehmend aufgeschmissen. Alles nur noch mit Beutel…
  • Was ich früher nie nie nie gesehen haben (nur einmal in Irland in dieser grässlichen Stadt Limerick): Wühltische in den Läden mit Sachen, die rundum auf dem Boden herumfliegen.
  • Die Leut’ sehen durchweg lieblos und billig gekleidet aus. Ganz ehrlich. Dabei geht es nicht mehr darum, dass die Kleidung skuril und “typisch englisch” ist oder darum, was mir gefällt. Es geht um billig und lieblos. Selbst bei Jugendlichen gibt es kaum eine Tendenz, sich irgendwie zu “stylen” und sei es mit ganz einfachen Mitteln. Jeder durchschnittliche Ruhrgebietler in Jeans und T-Shirt ist dagegen eine Stilikone in Aussehen und Qualität der Kleidung. Das ist kein Vorwurf, sondern natürlich Auswirkung der Krise und auch einer deutlich wahrnehmbaren Perspektivlosigkeit bei Jugendlichen. Ich habe mir bestätigen lassen, dass etliche Leute sich für max. 10 Pfund in Billigläden komplett einkleiden, das Zeug tragen, und wenn es dreckig ist, wegschmeißen und sich entsprechend neu “ausstatten”. Waschen könnte man diese Klamotten eh’ nicht.
  • Viele Leute und erschreckend viele Kinder sind wirklich wahnsinnig dick.
  • Armut ist auf den Straßen viel deutlicher präsent als früher und als bei uns, vor allem die Altersarmut. Wenn ich immer noch wieder Manager höre, die uns England als Beispiel für gelungenes wirtschaftliches Handeln hinstellen und irgendwelche Zahlen herbeten, dann kann ich nur fassungslos auf die Menschen und die Straßen gucken…
  • Es gibt zwar jetzt mehr free view Programme im Fernsehen – aber das Programm ist in allen Kanälen so übersaumäßig schlecht, dass das völlig egal ist.
  • Es wird offiziell davon ausgegangen, dass die swine flu spätestens im nächsten Monat außer Kontrolle gerät. 55.000 neue Fälle gab es allein in der letzten Woche…

Wenn ich das alles so lese, macht das den Eindruck, als ob das Negative alles andere erschlagen würde. Dem ist aber nicht so.
Das Wetter war absolut in Ordnung, die Landschaft ist immer noch z.T. atemberaubend, die Dörfchen niedlich, die Kathedralen bemerkenswert – und die Leute freundlich. Wir werden sicher wieder hinfahren… Es war ein wirklich schöner Urlaub.

Wer Fragen hat zu dem, was England aktuell angeht: gerne her damit. Vielleicht kann ich ja etwas dazu sagen.

 

70 Kommentare zu “England I – Back again”

  1. Matthias Httpeil schrieb am 21. Juli 2009 um 21:21: 

    Dankeschön für diesen umfang- wie kenntnisreichen Überblick!