Archiv für die Kategorie Hochbegabung

Dramatische Zuspitzung 2

Wenn jemand bei meinem letzten Blog-Eintrag geglaubt haben sollte, dass ich nun doch übertreibe – hier prompt die Zuspitzung der Zuspitzung:
Eine Mutter rief bei einem städtischen psychologischen Dienst an, in Panik, eben weil ihre Tochter akut (!) suizidgefährdet war und sie als Mutter sich absolut überfordert fühlte und nicht mehr weiter wusste.
Die Reaktion der Angestellten dieses Dienstes: “Rufen Sie in drei Tagen wieder an!”

Eine gute Idee.

 

Dramatische Zuspitzung

In den letzten Monaten erlebe ich zunehmend im Kontakt mit hochbegabten Kindern und ihren Eltern, dass es wohl immer schwieriger wird, mit Problemen der Hochbegabung in therapeutischen Einrichtungen bzw. städtischen Ämtern gehört oder gar ernstgenommen zu werden und einen Termin zu bekommen.

Die psychische Belastung eines Teils der Bevölkerung muss so elementar dramatisch geworden sein, dass das Personal von Psychologen / Psychotherapeuten etc. bzw. die Angestellten in Ämtern nicht selten in Hohngelächter ausbrechen, wenn man nach einem Termin fragt. Häufig taucht dann die Frage auf: “Ist es dringend?” Wenn diese Frage bejaht wird, weil die psychische Situation des Kindes durchaus nach Hilfe schreit, dann wird weiter nachgefragt: “Ist das Kind suizidgefährdet?” Auf die Antwort “Nein, das nicht.”, ertönt dann ein hässliches Lachen gepaart mit dem Kommentar: “Dann ist es auch nicht dringend! Was glauben Sie, was hier los ist?!”

In meiner Ohren klingt das nach nach einer gefährlichen Verrohung des
Sprechstundenpersonals bzw. der Angestellten in den Ämtern. Wahrscheinlich ist diese ausgelöst durch Überforderung in Anbetracht des Kontaktes mit so vielen Menschen in psychischen Ausnahmesituationen – was das Ganze allerdings nicht erträglicher macht.

 

Richtige Richtung – falsche Richtung

Die Lehrerausbildung in NRW soll neu ausgerichtet werden. Die Westdeutsche Zeitung berichtet heute darüber.

Die Entscheidung darüber, wie sie denn nun sein soll, die neue Lehrerausbildung, verzögert sich noch; die Landesregierung ringt noch um den richtigen Weg. Das finde ich, ehrlich gesagt, nicht unsympathisch, denn es geht nicht um Schnellschüsse, um Aktionismus, sondern um eine langfristig angelegte Veränderung, die auf dem Weg der Lehrerausbildung letztlich ja Rückwirkungen auf das gesamte Schulsystem haben wird.

Im Grunde wird sich in der neuen Lehrerausbildung eine Bewusstseinsveränderung manifestieren, denn die Richtung, in die das Ganze gehen soll, nimmt doch Bedürfnisse, Notwendigkeiten und Umgebungsvariablen in Bezug auf die Kinder ganz neu und individueller als bisher in den Blick. Deswegen ist Sorgfalt nicht die schlechteste Haltung in Bezug auf eine Entscheidung hin auf die fällige Neuorientierung.

Vielleicht bleibt uns dann ein Schuss in die falsche Richtung erspart, wie sie der nun wieder mögliche regelmäßige Samstagsunterricht in NRW meiner Meinung nach darstellt.

Samstagsunterricht hat unabsehbaren Konsequenzen auf das Familienleben, und die sind heutzutage noch viel schlimmer als früher: immer mehr Alleinerziehende müssen ihre Kinder hin- und herfahren, Eltern sind sehr häufig beide berufstätig und die gemeinsame Zeit ist daher eh’ extrem reduziert etc. Außerdem finden viele Förderangebote, vor allem auch für Hochbegabte, am Wochenende statt. Die Möglichkeit, solche Termine wahrzunehmen und zumindest ab und an mit “Gleichgestrickten” Dinge zusammen machen zu können, entfiele – oft die einzigen “Fluchten” aus dem langweiligen Schuleinerlei für Hochbegabte.

Ich habe früher selbst noch Samstagsunterricht erlebt – als Schülerin und auch als Lehrerin:  Samstagsunterricht ist enorm lästig – und außerdem: Er bringt wirklich nicht viel. Ich wage zu behaupten, dass eine Stunde mehr nachmittags in der Woche immer noch effektiver ist als die Samstagsquälerei.

Die Einführung des Samstagsunterichts halte ich für ein falsch gesetztes Signal. Vielleicht wurde noch nicht richtig verstanden, dass die Tatsache, dass das Abitur jetzt nach 8 statt bisher 9 Jahren gemacht wird, nicht bedeutet, den Lernstoff des eingesparten Jahres in die gebliebene Zeit quetschen zu müssen.
Lehrpläne müssen endlich entschlackt und modernisiert werden – ein Stück weit weg von Faktenlernen und Klein-Klein. Dann kommt man auch mit einer vernünftigen Stundenzahl hin – ohne Samstagsunterricht.

 

Neuer IQ-Test

In der nächsten Woche dürfen/müssen alle testenden Psychologen, Kliniken, Institutionen, Beratungsstellen etc. ca. 1000 Euro investieren, wenn sie weiterhin auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft arbeiten wollen:
Der neue “Hamburg-Wechsler-Intelligenztest” in seiner vierten Fassung (HAWIK-IV) kommt auf den Markt – und wird sich wohl sehr schnell als “Standard-Test” etablieren.

“Warum aber musste der HAWIK-III überhaupt überarbeitet, der Mittelwert 100 anhand einer solchen Normstichprobe neu justiert werden? Im Prinzip lautet die Antwort: weil es Kindern von Generation zu Generation leichter fällt, bestimmte Aufgabentypen zu lösen. Wenn repräsentative Gruppen ihren Intelligenzquotienten (IQ) testen lassen, verläuft das Ergebnis immer in Form einer glockenförmigen Gaußschen Verteilungskurve, die bei 100 ihren Gipfel hat und dann symmetrisch zu beiden Seiten flach ausläuft.

Nur zwei Prozent der Menschen erreichen Werte von über 130. Etwa 70 Prozent liegen zwischen den Normalwerten 85 und 115. Allerdings zeigte sich, dass in nachfolgenden Generationen die Gaußsche Glockenkurve nach rechts rückt: Der Mittelwert liegt plötzlich bei einem höheren IQ. Dieses Phänomen wurde nach dem neuseeländischen Politologen James Flynn Flynn-Effekt genannt. …

Was aber ist das wirklich, die sogenannte Intelligenz, die der HAWIK-IV misst? Vier Intelligenzwerte erfasst der neue Test: Sprachverständnis, wahrnehmungsgebundenes logisches Denken, Arbeitsgedächtnis und
Verarbeitungsgeschwindigkeit. …

‘Der Test legt mehr Wert auf abstrakt-logisches Denken und die Fähigkeit, zu kategorisieren und Konzepte zu erkennen’, sagt die Psychologin Monika Daseking, Mitglied der Bremer Arbeitsgruppe. Nun werde auch die Strategie, mit der ein Kind Probleme löst, stärker berücksichtigt, nicht nur die Lösung. ‘Das hat mit Forschungsströmungen zu tun’, sagt Daseking. ‘Die 90er-Jahre waren von der Neuropsychologie geprägt, und das hat seine Spuren hinterlassen.’
Auch einige Entwicklungsstörungen, über die vor zehn Jahren noch niemand sprach, werden jetzt berücksichtigt, zum Beispiel die Dyskalkulie, eine verbreitete Rechenschwäche, die mit dem neuen Test nun sicher erkannt werden kann.”

Die vorstehenden Zitate und weitere Infos zum HAWIK-IV sind zu finden in Welt online.

 

Theater

Normalerweise kündige ich an dieser Stelle keine Veranstaltungen an, möchte aber heute zwei Ausnahmen machen:

Die berühmte Ruhrtriennale, die ab dem 1. September 2007 wieder im Ruhrgebiet stattfindet, hat eine Theaterakademie für Kinder ausgeschrieben. Diese Veranstaltung möchte ich gerne bekanntgeben. Man informiere sich unter dieser Adresse.

Auf ein weiteres spannendes Theater möchte ich aufmerksam machen, nämlich auf das Theaterlabor Traumgesicht in Mülheim/Ruhr, dem die “Wandlung durch Theater” am Herzen liegt.
Für hochbegabte Jugendliche soll es am Samstag, dem 17. November dort einen Workshop geben. Infos dazu finden sich hier.

 

Befreiung von Studiengebühren bei Hochbegabung

Die TAZ bringt einen Bericht über die unterschiedlich gearteten Experimente diverser Universitäten damit, hochbegabten Studenten die Studiengebühren zu erlassen.

Die Hochschulen versuchen natürlich, sich zu positionieren und Hochleister für sich zu gewinnen. Daran gibt es nichts auszusetzen. In anderen Ländern ist das schon lange eine Selbstverständlichkeit.

Unendlich viel Geld wird staatlicherseits investiert für Förderschulen und -maßnahmen zugunsten der Kinder mit schlechter Begabung und mit Lernschwierigkeiten (Sonderpädagogik mit eigenen Studiengängen, Sonderschulen, Sonder.., Sonder…, Sonder…). Das alles hat natürlich ganz klar seine Berechtigung.
Wenn man aber zudem bedenkt, welchen Leidensweg hochbegabte Kinder oft immer noch zu gehen haben und dass diese Kinder zufrieden sein müssen mit dem, was das “normale” Schulsystem halt so bietet, dann halte ich die Befreiung von Studiengebühren für hochbegabte Studenten eigentlich nur für ein kleines Stückchen ausgleichende Gerechtigkeit – und nicht für die “unangemessene Bevorzugung einer Elite”.
Da das Vorkommen von Hochbegabung sich zudem durchaus nicht auf die finanzielle Oberschicht beschränkt, ist es ja auch nicht so, als würde man nur reichen Studenten noch mehr Geld hinterherwerfen.

Das Problem bei der Befreiung von den Studiengebühren sind natürlich die Kriterien.
Studenten von den Studiengebühren zu befreien, die eh’ schon von einer Stiftung Geld bekommen, halte ich eigentlich eher für unangemessen.
Die Abiturnote als Kriterium fällt schon deswegen aus, weil dann wieder einmal die Underachiver außen vor blieben, bei denen an der Uni vielleicht endlich einmal der Knoten platzen könnte.
Sinnvoller scheint mir das Vorgehen nach IQ zu sein. Das ist allerdings aus unterschiedlichsten Gründen natürlich auch nicht unangefochten.

Wie auch immer: Beschränkt man die Befreiung zunächst auf die ersten z.B. drei Semester, so kann sich ja zeigen, ob eine weitere Befreiung von den Studiengebühren bei einem hochbegabten Studenten sinnvoll ist.
Wobei sich bei einer Überprüfung dann natürlich auch wieder die Frage nach den Kriterien stellt …

 

Hochbegabung im Osten Deutschlands

Gleich drei Artikel/Informationen fand ich zum Thema Hochbegabung in den neuen Bundesländern:

Berlin/Brandenburg: Zum kommenden Schuljahr 2007/2008 sollen sechs „Stützpunkte zur Begabtenförderung“ eingerichtet werden, in den Eltern von hochbegabten Kindern Hilfe suchen (und hoffentlich auch finden) können. Man lese im Tagesspiegel.

Ebenfalls in Brandenburg, in der Lausitz, sitzt eine Familie jedoch auf gepackten Koffern, um nach Dresden zu ziehen, damit der hochbegabte Sohn dort die BIP Kreativitätsschule besuchen kann. Darüber gibt es einen Bericht in der Lausitzer Rundschau.

In Sachsen-Anhalt will die DGhK (Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind) die Zahl ihrer regionalen Gesprächskreise erhöhen und sucht dafür kompetente Eltern und/oder Pädagogen. Nähere Infos dazu findet man in der Volksstimme.

 

Abitur mit 14 – na und?

Wieder etwas “ganz schrecklich Aufregendes”: ein Mädchen hat im Alter von 14 Jahren Abitur gemacht und das auch noch mit der Traumnote von 1,0.
Artikel und Meinungen darüber findet man hier (FAZ-NET), ein Interview mit Minu Tezabi, die sich als völlig normal erlebt, hier (SZ).

Wenn Lernen für ein Kind elementare Lebensfreude ist und diese nicht zerstört wird durch völlig unterfordernde Lerninhalte, dann ist da nichts Besonderes dabei, wenn ein Kind wie Minu im Alter von 3 Jahren das Planetensystem erforscht und Bauklötze nicht besonders prickelig findet.

Solch elementare Lern- und Lebensfreude zeigt sich z.B. darin, wie selbst erlebt, wenn ein Vierjähriger nur dann bereit ist, sich auch mal im Sandkasten zu “vergnügen”, wenn er vorher mit seiner Mutter ausführlich über den Friedhof gehen darf – und dann dort mit Freude die Namen auf den Grabsteinen liest und ausrechnet, wie alt die Leute geworden sind.

Oder darin, dass das liebste Ins-Bett-Geh-Ritual eines Fünfjährigen darin besteht, mit dem Vater “Heiteres Politiker-Raten” zu spielen – und dabei weltweit nicht zu schlagen ist.

Oder darin, dass ein Elfjähriger nur dann die Eltern im Urlaub auf einem Spaziergang rund um einen Alpensee begleiten will, wenn sie ihn englische Vokabeln abfragen und Sätze übersetzen lassen – und das 2 Stunden lang einfordert und durchhält, wobei die Eltern irgendwann fix und alle sind und ihnen nichts mehr einfällt.

Sich so individuell und originell zeigende Lernfreude ist dermaßen frisch und spontan und unorthodox, dass eigentlich sofort jedem einleuchten müsste, dass so etwas nicht antrainiert oder gar “gezüchtet” werden kann.

Es ist einfach ein Jammer, dass bei hochbegabten Kindern diese intrinsische Motivation, in der Lernen so existentiell wichtig und normal erlebt wird wie das Atmen, spätestens dann beschädigt, wenn nicht gar zerstört wird, wenn Kindergarten und Schule reglementiert Lernstoff auf einem unerträglich niedrigen Niveau bieten und nur Norm-Lernverhalten akzeptieren und belohnen.

Wenn bei Hochbegabung Lernfreude und -motivation nicht zerstört werden, das Kind sich frei entwickeln kann und ausgeglichen ist, wenn zudem familiärer und schulischer Hintergrund stimmen: Abitur mit 14 – warum dann nicht?

 

 

Hochbegabung, eine Herausforderung

Auf den Seiten des Goethe-Instituts fand ich eben ein Interview mit Christian Fischer vom ICBF in Münster (Internationales Centrum für Begabungsforschung) über Hochbegabung – mit sinnvollen Grundinformationen zum Thema.

 

Gesamtkunstwerk

Es ist immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass Hochbegabung bei Kindern im (Schul-) Alltag erkannt wird. Verkompliziert wird diese Situation manchmal noch deutlich dadurch, dass Hochbegabung alle möglichen anderen vorkommenden Komplikationen bei Kindern natürlich nicht ausschließt. Heraus kommt dann möglicherweise ein schwierig zu durchschauendes und aufzulösendes Bündel an Symptomen bei Kindern, das oft erst durch eine aufwändige Diagnostik aufgeschlüsselt werden kann.

So gibt es jedwede denkbare Kombination: Hochbegabung und Legasthenie und Linkshändigkeit und ADS/ADHS und körperliche Behinderung und Autismus und minimale cerebrale Dysfunktionen und Asperger und Magersucht und und und.
Natürlich gibt es auch die Kombination Hochbegabung und Dyskalkulie. Über die Problematik, kein Gefühl für Zahlen zu bekommen, so dass die Additionsaufgabe “e plus k” genau so schwierig zu lösen ist wie “14 + 23”, davon berichtet heute die WAZ.