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HAWIK IV – Erste Eindrücke

Da es nach der Einführung des neuen IQ-Testes, HAWIK-IV, etliche irritierte Rückfragen verunsicherter Eltern gab, welchen IQ-Test man denn nun empfehlen könne und ob da jetzt nun mit dem HAWIK-IV völlig andere Ergebnisse herauskämen, habe ich gerne das Angebot eines testenden Psychologen angenommen, mir einmal das Material des neuen HAWIK-IV zu zeigen, um einen Eindruck zu bekommen.

Der Psychologe, der an ca. 20 Personen den neuen HAWIK angewendet hat, ist angetan von dem neuen Test. Für ihn zeigen sich in einigen Bereichen Verbesserungen, die es erlauben, noch differenziertere Aussagen zu machen, auch etwa zu Hochbegabung und Underachievement.

Es gibt beim HAWIK-IV drei Alterseingangsstufen, wobei sich jeweils das letzte/erste Jahr überlappen, so dass man individuell entscheiden kann, ob ein 16-Jähriger noch den “Jugendtest” oder den der Erwachsenen absolvieren soll.

Erstmals scheint es wirklich möglich, schon 3-Jährige recht zuverlässig testen zu können. Pro Jahrgang wurde der Test an jeweils 75 Mädchen und 75 Jungen durchgeführt, so dass dort eine recht zuverlässige Ergebnis-Vergleichbarkeits-Grundlage entstanden ist. Trotzdem sollten Eltern es sich wirklich gut überlegen, ob ein Test in einem solch frühen Alter schon notwendig ist. Auf puren Verdacht hin, z.B. auf vorliegende Hochbegabung bei ansonsten “unauffälligem” Kind, empfiehlt sich eine Testung in diesem Alter eher nicht. Aber immerhin: es sieht so aus, als ergäben sich zuverlässige Ergebnisse.

Als großes Plus des neuen Testes gab der Psychologe an, dass es nun leichter möglich sei, Hochbegabte und Minderleister zu identifizieren. Eine ganz bestimmte Aufgabe, die hochbegabten Kindern oft zu öde erscheint und bei der gerade diese Kinder einknicken und Fehler machen, gibt es nun gleichzeitig unter einer erschwerten Bedingung. Dabei schneiden dann gerade diese Kinder sehr gut ab. Die Differenz bei der Auswertung dieses Aufgabenkomplexes leichter Teil/erschwerter Teil gibt deutliche Hinweise in Bezug auf die Vigilanz (hier einfach ausgedrückt: Abschlaffen der Aufmerksamkeit bei zu leichten Aufgaben). Unterstützt werden kann diese Aussage durch einen weiteren Testteil, den die Kinder, die den schwierigen anderen Testbereich besser lösten, auch weit besser meisterten als andere Kinder.

Herausgefallen gegenüber dem HAWIK-III sind beim HAWIK-IV z.B. Rechenaufgaben und Bildfolgen; neu hereingekommen sind Bildkonzepte (abstraktes kategoriales Denken), Buchstaben-Zahlen-Folgen (Akustische Merkfähigkeit; Aufmerksamkeit und Konzentration), Matrizen-Test (Visuelle Informationsverarbeitung, Erkennen von Analogien, abstraktes Denken), Symbolsuche (Beobachtungsgenauigkeit, Konzentration, Geschwindigkeit von Verarbeitungsprozessen)

Was mir bei all dem allerdings wieder einmal als Allerwichtigstes aufgefallen ist, das ist die enorme Bedeutung der Person des Testenden. Die kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Ein Beispiel: in einem Testbereich des HAWIK-IV gibt es einen wirklich handwerklichen Fehler: eigentlich dürfen nur 3 Bilder abstrakt inhaltlich zusammenhängen – in einem Fall sind es aber eindeutig 4, wobei die Kombination mit diesem einen Bild, das zuviel ist, per Auswertung als falsch gewertet werden müsste. Es ist aber definitiv eine richtige Antwort, wenn das Kind dieses Bild nennt. Was tun?
Oder: Der Testende sagt nach einer nicht richtig gelösten Aufgabe zum Kind: “Gut, weiter dann: Aber das nächste Beispiel kannst Du dann sicher auch nicht lösen.” – Oder aber er sagt: “Gut, weiter: Das nächste Bild liegt Dir sicherlich viel mehr.”
Allein durch solche, manchmal völlig unbewusst dahergesagten, Dinge kann ein Test massiv beeinflusst werden; ebenso auch durch die Gestaltung von Räumlichkeiten, Hektik im Umfeld, professionelles Desinteresse (Massenbetrieb) etc.

Bei den Testergebnissen bei Anwendung des neuen Testes, die der testende Psychologe, der mir freundlicherweise Einsicht in den HAWIK-IV gegeben hat, festgestellt hat, sieht er bisher keine signifikanten Unterschiede zu den Ergebnissen mit dem HAWIK-III. Aber in dem Bereich eine Aussage zu machen, dafür sei es noch zu früh. Hochbegabung habe sich mit dem neuen Test im Grunde bisher genau so oft herausgestellt wie mit dem alten.
Es mag dennoch sein, dass der Test „schwerer“ geworden ist, dass aber durch die Differenzierung bei einem Testbereich, der für hochbegabte Kinder „zu leicht“ war und schlecht gemeistert wurde, jetzt aber mit dem Wert für den erschwerten Teil dieses Testbereiches „verrechnet“ wird, hochbegabte Kinder besser erkannt werden können.

Der HAWIK-IV wird sich durchsetzen; eine Neujustierung des Testes war überfällig.
Spätestens im nächsten Sommer, so der Psychologe, solle sich niemand mehr mit dem alten HAWIK-III testen lassen. Eltern von Kindern mit Verdacht auf Hochbegabung und/oder Underachievement sollten schon jetzt wegen der besseren Differenzierung der Testergebnisse in einem dafür relevanten Bereich darauf achten, dass der HAWIK-IV als Test eingesetzt wird.
Ob allerdings auch offizielle Stellen wie schulpsychologische Dienste etc. schon bald das Geld für den neuen HAWIK-IV ausgeben können/wollen, bleibt fraglich. Auf die Dauer wird es aber ein K.O-Kriterium sein, den alten Test anzubieten.
Mindestens 1000 Euro müssen für den HAWIK-IV ausgegeben werden. Das Papier der Aufgaben, die bei der Testung oft gebraucht werden, ist dabei leider z.T. viel zu dünn. Es empfiehlt sich eine Laminierung.
Ein EDV-Auswertungsprogramm für den HAWIK-IV ist auf dem Weg, aber noch nicht wirklich zuverlässig einsetzbar. Es dauert halt immer, bis neue Software-Lösungen wirklich zufriedenstellend laufen. Wenn es aber so weit ist, scheint das EDV-Programm eine große Hilfe bei der Auswertung der Testergebnisse zu sein.

 

 

Einfühlsame Pädagogik

Sagt die Grundschullehrerin zum hochbegabten Jungen, der sich im Matheunterricht langweilt und mit dem Füller auf seine Hand “richtige” Aufgaben aufschreibt und ausrechnet:
“Wenn Du das nochmal machst, hacke ich Dir die Hand ab!”

 

Danke!

Gründe zum Jammern gibt’s genug in dieser “besten aller Welten”, so dass es leicht ist, zu klagen – und angesagt scheint es auch zu sein.

Aus einer aktuellen Erfahrung heraus, die mittlerweile sicherlich kein Einzelfall mehr ist, möchte ich aber auch einmal deutlich “Danke” sagen.
“Danke” all den Schulen und Lehrern, die sich wirklich um Kinder mit Hochbegabung bemühen. Vor allem Dank an die, die Schüler/innen, die hochbegabt und dazu in irgendeiner Weise “schwierig” sind, Underachievern z.B., Hilfe und einen Vertrauensvorschuss geben.

Es gibt es: vorbildhaftes Verhalten in ganz normalen Schulen und dort, wo man es vielleicht nicht vermutet. Als Beispiel kann ich anführen das Vestische Gymnasium in Bottrop-Kirchhellen, das einem Jungen, der nun wirklich alle Symptome des Underachievements zeigt, größtmögliche und sehr individuelle Unterstützung gibt.

Sie existieren, die Fälle, in denen Underachiever eine wirkliche Chance bekommen. Das bedeutet aber auch, dass eigentlich irgendwann dann auch die Schüler dran sind, das Ihre zu geben…

 

 

Spät entdeckte Hochbegabung

Es berührt mich immer wieder, von Leidensgeschichten hochbegabter Kinder zu erfahren. Diese Leidensgeschichten gibt es immer noch, mittlerweile manchmal weniger, weil die Schulen sich ignorant weigern, zu helfen, sondern immer öfter, weil die allgemeinen Lebensumstände schwieriger und komplexer geworden sind, Familien auseinanderbrechen, problematische und widersprüchliche Symptome, Auffälligkeiten, Lebens-, Verhaltens- und Erziehungsaspekte oft wenig harmonisch und konstruktiv aufeinanderprallen.

Noch mehr berührt es mich, muss ich gestehen, wenn ich aus erster Hand Schicksale hochbegabter Erwachsener erzählt bekomme, von Betroffenen, die z.T. erst im Alter von 50 Jahren erfahren haben, dass sie hochbegabt sind. Es macht mich immer wieder betroffen, wie einsam diese Menschen oft ihr Leben lang gewesen sind im Gefühl, überall falsch zu sein, und wie sehr doch die Hochbegabung, wenn auch unerkannt – und gerade, weil unerkannt, im Guten und Belastenden, ihr Leben geprägt hat. Oft gibt es aus diesem Grunde der unerkannten Hochbegabung tragische Familiengeschichten über mehrere Generationen hinweg.

Begegnungen mit hochbegabten Erwachsenen, die erst spät von ihrem Potenzial erfahren haben, ergeben sich oft ganz zufällig. Die Betroffenen sind dann eigentlich immer von einer beschämenden Dankbarkeit, endlich einmal unverschlüsselt ihre Geschichte erzählen zu können.

Was bei solchen Gesprächen immer wieder zum Ausdruck kommt, ist, dass die Erwachsenen, denen die Diagnose “Hochbegabung” plötzlich eindeutig wird, egal, wie alt sie tatsächlich sind, sich fühlen wie am Anfang ihres Lebens.
Nichts, was war, gilt mehr wirklich.
Die bisherige Lebensgeschichte bricht zusammen und muss im Licht des neugefundenen Faktums Hochbegabung völlig neu angesehen, gedeutet und eingeholt, ja, neu erfunden werden.
Oft folgt ein Aha-Erlebnis dem anderen – wie eine Reihe von inneren Explosionen. Erlebnis-Puzzlesteine, die früher nicht einordbar waren, finden plötzlich ganz eindeutig ihren Platz.
Es ist für Erwachsene oft ein unglaublicher Einbruch in ihr bisheriges Leben, mit ihrer Hochbegabung konfrontiert zu werden – wie Tod und Auferstehung. Sie fühle sich wie der Phönix aus der Asche, der stirbt und neu geboren wird, sagte mir eine hochbegabte Frau.
Die späte Entdeckung der eigenen Hochbegabung ist bei Erwachsenen oft mit ganz großer Bestürzung verbunden, mit einer unglaublich überwältigenden Mischung aus Schock und Erleichterung, plötzlichem Verstehen, Bedauern über Versäumtes, großem Schmerz und dem Gefühl, eigentlich noch gar nicht wirklich gelebt zu haben.
Hochbegabte Erwachsene müssen sich sehr häufig von Grund auf neu kennenlernen und in sich selbst ganz neu einleben. Das ist nicht einfach. Bis heute gibt es noch nicht wirklich große Hilfen dazu. Einige Ansprechmöglichkeiten findet man hier.

 

Hochbegabung: Störung? Krankheit?

Hochbegabung = Abweichung von der “Normalität” = nicht normal…

In den letzten Wochen in mehreren Zeitungsartikeln als “Fluch” bezeichnet, wird heute einmal wieder das “Phänomen” Hochbegabung abgehandelt unter dem weiten Mantel der behandlungsbedürftigen Störungen:
Unter dem bereits aussagekräftigen Titel “Legasthenie, Dyskalkulie und Hochbegabung” veröffentlicht Echo-online die Ankündigung einer Messe zu Beratungs- und Förderangeboten in Rossdorf, Hessen.
Mehr als 50 Pädagogen informieren – jetzt wörtlich zitiert: “über
den Umgang mit Störungen wie Legasthenie und Dyskalkulie, aber auch zur Hochbegabung
“.

Ich verkneife mir jeden Kommentar, weiß aber nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Erinnert werde ich in diesem Zusammenhang an den Beginn des Vortrages eines der Mitbegründer der Jugendplattform KUBUS auf einem Ärzte-Symposium mit dem Thema “Autismus, Asperger-Syndrom und Hochbegabung”:

Etwas irritiert war ich, als ich den Titel der Tagung las, auf der ich einen Vortrag zum Thema Hochbe­gabung halten sollte. Hochbegabung in einer Reihe mit Autismus und dem Asperger-Syndrom? Auf den ersten Blick schien mir das ein wenig merkwürdig. Dreht man jedoch die Perspektive von sich weg und hin auf die eines Beobachters, wird die Parallele offenbar: Alle drei Phänomene führen zu einem für die Umwelt schwer verständlichen Verhalten.
Allerdings ist das Ausmaß doch sehr verschieden: Während Autismus und Asperger-Syndrom Krank­heiten sind, die dem Betroffenen ein eigenständiges Leben stark erschweren oder gar unmöglich ma­chen, ist Hochbegabung ein Phänomen, das den Betroffenen eigentlich das Leben um vieles erleich­tern müsste, wenn die Umgebung nicht oftmals Schwierigkeiten hätte, mit dem Hochbegabten umzu­gehen.Bei Autismus und Asperger-Syndrom kann es Ziel einer Therapie sein, den Patienten an die Realität heranzuführen und ihm ein möglichst eigenständiges Leben zu ermöglichen. Was aber könnte das Ziel einer „Therapie“ für Hochbegabte sein?
Eine Heranführung an die „Normalität“ kann es nicht sein, denn sie würde für den Betroffenen einen Rückschritt bedeuten, und ich kenne einige Fälle in denen genau solche Versuche zu massiven psychischen Problemen bis hin zu
Suizidversuchen geführt ha­ben.

Da muss ein Jugendlicher einer großen Versammlung von verdoktorten Ärzten sagen: “Hallo Jungs, ich bin hochbegabt – aber ich bin nicht krank oder unnormal, und therapiert werden muss ich deswegen schon gar nicht!” …

 

Neue Kurzsichtigkeit

Ist nun jeder gute Schüler hochbegabt? Ist andererseits jeder hochbegabte Schüler automatisch ein schulischer Überflieger?
Diese Fragestellung ist aktueller denn je.

Starke Schüler brauchen Förderung” titelt Echo-online.
So lobenswert diese Feststellung ist und so modellhaft sinnvoll der Umgang mit Hochbegabung auf den mit dem hessischen Gütesiegel ausgezeichneten Gesamtschulen Münster und Rodgau, so sehr erregen die Aussagen der jeweiligen Direktoren dieser Schulen in mir den Argwohn, dass es wiederum nur die Schüler mit den guten Noten sind, die in den Genuss der entsprechenden Fördermaßnahmen für Hochbegabte kommen:

“Ich tue mich schwer mit dem Begriff Hochbegabung und spreche lieber von hochmotivierten und leistungsstarken Schülern“, sagt z.B. Herr Cwielong vom Gymnasium Münster.
Und Heidi Kempf von der Rodgauer Schule: “Verschwindend wenige Schüler seien getestet hochbegabt, alle motivierten, lernfreudigen Schüler würden in den Kursen zusammengefasst.”

Mich stört an dieser Aussage nicht, dass Schüler nicht getestet sind – mich stört allerdings, dass der Blick einmal wieder nicht gerichtet ist auf die hochbegabten Schüler, die eben nicht “motiviert und leistungsstark” sind, weil ihre Vorgeschichte sie zu Underachievern gemacht hat. Es geht einmal wieder nur um die Hochleister.

Mein Verdacht bestätigt sich immer mehr: Das “Phänomen” Hochbegabung ist zwar so langsam salonfähig geworden, und man tut auch recht gerne etwas für die Hochleister. So etwas schmückt mittlerweile ja auch. Diejenigen aber, die an ihrer Hochbegabung leiden, Minderleister geworden sind, nicht motiviert vielleicht sogar zum Problem geworden sind, weil sie z.B. keine Hausaufgaben machen, stören etc. die fallen mittlerweile immer öfter durch jedes Raster, während die Hochleister hofiert werden.

Da hat sich eine neue Art des falschen Umgangs mit Hochbegabung entwickelt.
Diese basiert oft auf Unkenntnis, die – sorry – auch z.T. darauf zurückzuführen ist, dass die meisten Menschen/Pädagogen, die mit Schule zu tun haben, halt nicht hochbegabt sind, einfach keine eigenen Erfahrungswerte damit besitzen und deswegen einfach diesen Qualitätssprung im Denken selbst nicht nachvollziehen können (wer noch nie Eierlikör getrunken hat, weiß nicht, wie er schmeckt). Auch deswegen werden so häufig Schüler anhand der “normalen” und sozial anerkannten Kriterien für die Hochbegabtenprogramme halt leistungsorientiert ausgewählt. Leistung ist handfest.

Pädagogin Heidi Kempf: „Lehrer sind sehr wohl in der Lage, hochbegabte Schüler von fleißigen zu unterscheiden.“
Sorry: aber das glaube ich ganz und gar nicht. Das mag vielleicht bei der Unterscheidung innerhalb der Gruppe der wirklichen Hochleister zutreffen, ansonsten aber nicht!
Im Gegenteil, der Trend geht in die andere Richtung, nämlich die simple Gleichung “Motivierter Hochleister = vielleicht hochbegabt” bzw. im Umkehrschluss “Minderleister, Leistungsverweigerer = Problem und bestimmt nicht hochbegabt” für die Wirklichkeit zu halten und als Basis pädagogischen Handelns zu nehmen.

Es gehen immer noch viel zu viele hochbegabte Schüler verloren, weil sie nicht als hochbegabt erkannt werden und – wenn es sich um Minderleister handelt – weil es viel zu wenige Underachiver-Programme gibt.

Hochbegabte Hochleister hat man mittlerweile gerne – Underachiver dagegen werden sogar oft auch in den Schulen ausgegrenzt, die sich ansonsten den Umgang mit Hocbegabung auf die Fahnen geschrieben haben.


 

Seufz!

Ich bekomme viele Anfragen, Hochbegabung bei Kindern betreffend – und das ist auch in Ordnung so. Unter den Ratsuchenden sind viele Eltern, die in Not sind, Rat suchen (und hoffentlich auch finden) – und dabei einfach freundlich sind. Also, so ganz normal freundlich, nicht irgendwie besonders oder überschwänglich. Einfach halt freundlich. Hin und wieder höre ich tatsächlich sogar auch mal ein “Danke”.

Es gibt allerdings auch andere Eltern – und bei denen habe ich dann doch deutlich das Gefühl, dass die Problematik des Kindes durchaus durch das Verhalten der Eltern mitbestimmt wird und nicht nur auf die Hochbegabung zurückzuführen ist. Wie ich schon einmal geschrieben habe: manchmal sind nicht wirklich die Kinder, sondern eher die Eltern das Problem.
Manche Anfragen erlebe ich als unangemessen, unfreundlich und hin und wieder auch unverschämt.
Ich tue mit meiner fast 20-jährigen Erfahrung im Umgang mit Hochbegabung, was ich kann, dazu ehrenamtlich, sogar als Unterstützung amtlicher Stellen – aber manchmal fühle ich mich doch auch genervt…

Als gerade aktuelles Beispiel bekam ich die Anfrage einer Frau, die sich sogar pompös als “Lebensberaterin” darstellte. Bei ihrem Kind wurde Hochbegabung festgestellt, und sie schrieb:
Sie kennen bestimmt die Schwierigkeiten, die sich daraus innerhalb einer Familie auftun können. Ich suche nach Hilfe für uns als Eltern und die Lehrer, als auch nach außerschulischen Förderungsmöglichkeiten. In der Hoffnung in Ihnen einen Ansprechpartner gefunden zu haben, verbleibe ich mit …
Ich schrieb ihr sofort (!) und freundlich zurück, dass ich natürlich evtl. auftretende Schwierigkeiten aller Art kennen würde, aus ihrer Mail aber gar nicht entnehmen könnte, welche konkreten Fragen oder Probleme sie in Bezug auf ihren Sohn und Ihre Familie denn habe. Sie könne mich gerne anrufen, das aber bitte erst in ca. drei Tagen, da ich meinem eigenen Sohn gerade beim Umzug helfen würde, sie könne aber auch ausführlicher schreiben. Danach könnten wir konkret ins Gespräch kommen.
Zurück kam Folgendes:
Das ist ja eine Überraschung! Ihre Seite wird wesentlich kompetenter dargestellt, als dies der Fall zu sein scheint. Wenn ich konkrete Fragen stellen könnte, dann hätte ich wahrscheinlich selber schon konkrete Antworten darauf. Und so wie es aussieht, sind hier einige “Ansprechpartner” (?) wohl mit den eigenen Lebensumständen überfordert. Vielen Dank, aber ich wende mich lieber an eine andere Institution.

Ja aber bitte gerne doch!!!

Echt der Hit:
Wenn ich konkrete Fragen stellen könnte, dann hätte ich wahrscheinlich selber schon konkrete Antworten darauf.
Und bin ich mit den “eigenen Lebensumständen überfordert“, wenn ich wegen eines Umzuges in der Familie drei Tage lang keine Zeit habe?

Was für eine Arroganz!

Wie wäre es im Gegenzug damit:
Kommt ein Klient zur Lebensberaterin: “Ich bin 40 Jahre alt. Welche Probleme könnte ich denn so haben?? Bitte nennen Sie mir alle – und dazu natürlich kostenlos und SOFORT, ansonsten sind Sie mit Ihrem eigenen Leben überfordert!” :-) :-) :-) :-)

 

Hochbegabung als Fluch

Ich fasse es nicht, aber so heißt tatsächlich die Überschrift eines Artikels der Deutschen Welle.

Wenn Kinder wunderbar schwimmen können, supertoll im Ballett sind, Arnold Schwarzenegger im Judo auf die Matte knallen, wunderkindmäßig Klavier spielen, fiedeln wie der Teufel oder Tennis spielen wie Klein-Boris – würde dann auch jemand sagen: “Schwimmbegabung als Fluch”, “Oh Schreck, mein Sohn ist der neue Judo-Crack”, “Hilfe, mein Kind spielt toll Tennis”, “Wenn der Geigenbogen älter ist als das Kind” ????

Ich habe immer mehr den Eindruck, dass hierzulande ein Kind erfreuter akzeptiert wird, wenn es ein bisschen “hinterher” ist und man tüddeln und bedauern kann (“putt, putt, das Arme”) oder wenn man weiß, dass bei einem Kind Schweiß und Tränen bei gnadenlosem Hochleistungstraining fließen (ohne Fleiß, kein Preis!), als wenn es einfach geistig potent ist.

Hochbegabung als Fluch?
Hochbegabung ist ein Geschenk – wenn auch zugegebenermaßen – manchmal ein nicht unkompliziertes.

 

Keine Begabung verschenken

Der gleichnamige Artikel des Deutschlandfunks wäre bei mir fast als einer dieser begrüßenswerten, aber dann doch nichts wirklich Neues bringenden Artikel über Hochbegabung abgehakt worden, als mir der Ausspruch einer 22-jährigen Studentin in die Augen fiel.

Sie sagt über ihre Hochbegabung:

“Ich denke, es ist eine Gabe, und man muss gucken, was man draus macht. Also ich denke, man hat auch eine Verantwortung, was damit zu machen.”

Wie wahr und wie richtig. Bewundernswert, in dem Alter schon soviel Reife und Eigenverantwortlichkeit zu finden.

Die Forderung danach, keine Begabung zu verschenken, hat ganz klar zwei Seiten:
Die Gesellschaft, respektive Bildungssystem, Schule, Lehrer etc., hat natürlich die Aufgabe, ja die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Begabungen, und auch Höchstbegabungen, sich entfalten können.
Das ist aber nur die eine Seite, die letztendlich leider immer dann ins Leere läuft, wenn das persönliche Engagement des hochbegabten Kindes und seiner Familie nicht einzubinden ist.

Ich habe es schon einige Male erlebt, dass für ein hochbegabtes Kind eine wirklich gute Schulsituation geschaffen werden konnte – aber nie war etwas gut genug. Es zeigte sich dann häufiger, dass das Problem des Kindes letztendlich gar nicht in seiner Hochbegabung lag, sondern in einer permanenten familiären Stresssituation, die eben unverändert blieb. Da man sich nicht mit der Familienproblematik auseinandersetzen konnte und/oder wollte, wurde erneut so lange das Kind zum Problem gemacht, bis es wieder in die Knie ging, tatsächlich wieder schulische Probleme auftauchten – und das Kreisen um das vermeintliche Problem der Hochbegabung und das Jammern über das ach so schreckliche Schulsystem neu begannen.

Heutzutage, wahrscheinlich mache ich mich mit solchen Statements nicht beliebt, ist ja sowie häufig die Einstellung zu finden: “Ich bin das und das, habe das und das an Behinderung oder diese oder jene Besonderheit – Gesellschaft, jetzt mach mal und sorge für mich!”
Natürlich muss “Gesellschaft” adäquate Bedingungen anbieten, aber jeder Mensch trägt auch die Verantwortung für sich selbst!
Schon die Werde-Forderung der Antike “Werde der, der du wirklich bist”, gibt letztlich das Individuum sich selbst in seine eigene Hand.

Werden und Reifen, das kann niemand keinem abnehmen.
Jeder steht da mit sich selbst in seiner eigenen Situation, und manchmal ist sie gut, und manchmal ist sie schlecht.

Wenn eine 22-Jährige in der Lage ist, ihren Teil der Verantwortung für ihre Gabe so deutlich zu sehen – Hut ab!
Viele Menschen, auch viele Eltern hochbegabter Kinder und viele Hochbegabte selbst, sind dazu nicht in der Lage und bleiben ewig in der Klage – zutreffend oder nicht – über die schlechten Bedingungen, in denen sie leben müssen.

Nicht, dass wir in der besten aller denkbaren Gesellschaften lebten – aber selbst wenn wir es täten: für manche Menschen wäre selbst das nicht gut genug. Sie kämen auch in der besten aller Welten nicht klar, weil sie nicht bereit sind, auch mal sich selbst und die eigenen hausgemachten Problematiken aufrichtig anzuschauen, die Verantwortung dafür zu übernehmen und daran zu arbeiten.

 

Dramatische Zuspitzung 3

Das wahre Leben bringt sie in Serie, die Zuspitzungen:
In einer großen Ruhrgebietsstadt rief die Mutter eines wiederum akut psychisch gefährdeten Kindes wiederum den psychologischen Dienst ihrer Stadt an.
Sie bekam die Antwort, man könne weder ihr noch dem Kind helfen und gab ihr – die Telefonnummer der ehrenamtlichen (!) Beraterin der DGhK dieser Stadt.