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“Haustierhaltung” von Kindern als Motivations- und Kreativitätskiller

Wissensdurst wird durch Klugscheißerei verdorben titelt Spiegel online ein Interview mit dem Neurobiologen Gerald Hüther, in dem er beklagt, dass Kinder in einer von Erwachsenen geschaffenen sterilen Welt “gehalten” und überfürsorglich umsorgt werden, was Folgen hat für die Motivation und Lebenstüchtigkeit der Kinder – sich vor allem aber grundlegend negativ auf deren Gehirnentwicklung auswirkt.

“Kinder unter Daueraufsicht, die immer nur an der Hand von Erwachsenen umhergeführt werden, gleichen Haustieren, Stalleseln, die das Leben in der Freiheit nicht mehr kennen. Aus der Hirnforschung wissen wir, dass unter diesen Bedingungen die Ausreifung des Gehirns nicht optimal gelingt. Das Gehirn bleibt eine Kümmerversion dessen, was daraus hätte werden können.”

Eltern sollten stattdessen “…innerhalb ihres Wohnbereichs Räume schaffen, in denen die Kinder Dinge gestalten können. Denn das ist kindliches Spielen: gemeinsam Dinge gestalten, die nicht von Erwachsenen vorgeschrieben sind.”
Kinder “sollten Gelegenheit bekommen, eine selbstgestellte Aufgabe zu lösen, etwa ein Baumhaus zu bauen. Dabei erfahren sie, dass man das nicht hinkriegt, wenn man sein Werkzeug nicht zurechtlegt und nicht vorher einen genauen Plan gemacht hat. Kinder müssen eingeladen werden, sich als Weltentdecker und Gestalter dieser Welt zu betätigen – und das können sie am leichtesten im Spiel, nicht im Unterricht. …
Die meisten Eltern, viele Schulen und wahrscheinlich sogar einige Kultusbehörden haben noch nicht mitbekommen, dass die Wirtschaft und auch die Hochschulen am schlimmsten darunter leiden, dass dort junge Leute ankommen, die nicht genug Motivation mitbringen. Sie haben die Lust am Entdecken und Gestalten hoffnungslos verloren.
Wir versuchen immer, den Kindern in der Schule Sachwissen beizubringen. Dabei haben Pädagogen schon vor hundert Jahren darauf hingewiesen, dass es nicht darauf ankommt, einfach nur die Kulturgüter an die Kinder weiterzugeben, sondern darauf, in den Kindern immer wieder neu den Geist zu wecken, der die Kulturgüter hervorbringt.”

Wie sollen Kinder in einem Klima permanenter Überbehütung, die oft mit Liebe verwechselt wird, Lebensneugier, Entdeckerfreude, Lernmotivation entwickeln? Dass Kindern ständig die Trauben in den Mund wachsen, hat zur Folge, dass gar nicht mehr existentiell erlebt wird, dass man etwas tun muss, damit Leben funktioniert und gelingt. Die auf die Schulsituation reduzierte und isolierte Forderung, etwas “zu leisten”, verpufft oft im Unverständnis der Kinder und Jugendlichen, die dazu gar keinen Anlass sehen, weil alles ja auch ohne eigenen Einsatz weiter funktioniert: Essen steht auf dem Tisch, Wäsche ist gewaschen, Taxidienst läuft, Konsumartikel werden nach Wunsch geliefert etc. Wozu sich anstrengen, Frust ertragen, selbst aktiv werden?

Dabei geht es nicht darum, wertkonservative Vorstellungen durchzusetzen, sondern schlicht, wie der Neurobiologe sagt, um Fakten: um die optimale Hirnentwicklung bei Kindern.
Dass bei einem oft zwei Jahrzehnte dauernden “Drohnenleben” der Kinder die Hirnentwicklung nicht günstig verläuft, ist kein Wunder.

Es ist auf Dauer gefährlich, Kinder nur maximal zu “pampern” und zu Reproduzenten unseres Werte- und Bildungssystem zu machen, das mittlerweile ja nun auch nicht mehr den besten Ruf hat. Es geht darum, Kinder darin zu unterstützen, lebendige Menschen zu werden, die, ausgestattet mit grundlegenden Kompetenzen, Motivation und Lebensfreude, ihren Weg machen können.

Dies sollte Erziehungsmaxime sein, in Elternhaus, Schule und Gesellschaft – und nicht nur bezogen auf Kulturgüter:

Es kommt nicht darauf an, einfach nur Wissen und Bildung an die Kinder weiterzugeben, sondern darauf, in den Kindern immer wieder neu den Geist zu wecken, der Wissen und Bildung hervorbringt.

 

46 Kommentare zu ““Haustierhaltung” von Kindern als Motivations- und Kreativitätskiller”

  1. Speybridge » Blog Archive » Überbehütung, kein Wettbewerb: Immer König – jemals erwachsen? schrieb am 26. Juli 2012 um 17:27: 

    […] habe schon einige Male die Tendenz heutiger Eltern zur Überbehütung beklagt (hier und hier und hier und hier). Heute bekam ich einen Artikel aus brand eins Online zugeschickt, der […]