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Unabsehbare Folgen: Mobbing in der Schule

Gar nicht viele Worte verlieren will ich zu dem sehr ausführlichen und betroffen machenden Artikel im Süddeutschen Magazin dieser Woche: Hurensohn! Stück Scheiße! Arschloch!, der sich mit Mobbing in der Schule beschäftigt. Ich wünsche ihm viele Leser.

Natürlich weiß ich, dass Schüler/innen aus den unterschiedlichsten Gründen zu Mobbingopfern werden. Da einer der Schwerpunkte dieses Blogs aber das Thema Hochbegabung ist und sich in besagtem Artikel ein entsprechendes Beispiel findet, sei es hier zitiert:

“Maximilian ist hochbegabt, er spielt nicht Fußball, sondern reitet und liest Sachbücher über den Holocaust. Maximilian ist vier Jahre lang in der Grundschule von seinen Mitschülern gequält worden, obwohl er dort einmal sogar die Klasse gewechselt hat. »Als die Mitschüler in der neuen Klasse von seinen Hobbys erfuhren, war es dort auch sofort vorbei«, sagt seine Mutter. Seit Sommer 2008 besucht Maximilian eine Realschule in der Nähe von Wolfsburg und wird weiter schikaniert. Zwei Jungs aus seiner Grundschule sind wieder in seiner Klasse.
Maximilian ist als Hurensohn, Stück Scheiße, Arschloch, Scheißbullensohn, Idiot beschimpft worden. Seine Mitschüler haben ihm ins Gesicht gespuckt, ihn im Handarbeitsunterricht mit Nadeln gestochen, ihm in den Arm gebissen, sodass die Wunde verbunden werden musste, und sie haben ihm einen Zahn ausgeschlagen. Ein Lehrer hat mal zu Maximilian gesagt: »Dann darfst du halt nicht so schlau tun«, ein anderer hat ihn »verwöhntes Früchtchen« genannt.
Maximilian antwortet auf die Frage, wie es ihm geht: »Nicht so prickelnd.« Er ist ein Zyniker – mit elf Jahren. Er hält die Kinder, die ihn plagen, mittlerweile für minderbemittelt. »Reden bringt bei denen nichts.« Wenn seine Mutter ihn morgens wecken will, öffnet sie eine Tür, auf die Totenköpfe gemalt sind, daneben steht: »Weckt mich nicht!« Wenn man sein Zimmer betritt, muss man Angst haben, dass seine aus Legosteinen gebaute Selbstschussanlage losgeht. »Ich gehe dem Mobbing aus dem Weg, indem ich oft nicht in die Schule gehe«, sagt Maximilian. …Maximilian bezeichnet sich als »dauerpessimistisch«. Es ist also davon auszugehen, dass er leidet und dass sein Leid nur von ihm allein zu ermessen ist. Außerdem ist davon auszugehen, dass Eltern sehr hilflos sind in einer solchen Situation. »Im letzten Monat haben wir ihn jeden Morgen zur Schule gebracht, weil wir Angst hatten, dass er sich etwas antut, wenn wir ihn allein losschicken«, sagt seine Mutter.
Längst wirken sich Maximilians Schulprobleme auf die ganze Familie aus. Sein Vater will ihn morgens zwingen, in die Schule zu gehen. Maximilian flippt aus, wird aggressiv, auch gegen die beiden älteren Schwestern. Oder er verzweifelt und wendet sich Hilfe suchend an seine Mutter. Aber die verstummt nur. Was soll sie tun? Sie spürt die Nöte ihres Sohnes und ist trotzdem machtlos.
Ob er sich wünscht, in eine Klasse zu gehen, in der er gemocht wird? Maximilian überlegt: »Ich glaub schon. Aber ich glaub, das geht nicht mehr.« Was würde er sich denn überhaupt wünschen? Maximilian überlegt wieder. Soll er cool sein, den Zyniker geben? Das kann er doch so gut. Aber dann sagt er: »Dass es einfach aufhört.« Pause. Und ergänzt, ganz leise: »Es wäre besser, wenn ich nicht existieren würde.«”

Um ehrlich zu sein: Natürlich macht diese Geschichte – wie alle Mobbing-Erfahrungen – betroffen. Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass im Falle Maximilians auch noch andere Dinge falsch laufen. Wieso um alles in der Welt  ist ein solcher hochbegabter Junge überhaupt auf der Realschule?
Dieser Frage sollte man tunlichst nachgehen – unter Einbeziehung der familiären Problematik, die mit Sicherheit in der Familie von Maximilian zu finden ist. Ungeschickte und falsche Entscheidungen im Elternhaus haben auch immer ihre Gründe und beeinflussen die Situation einen Kindes natürlich extrem, hier bei Maximilian bis hin zu einer unerträglichen Lebenssituation, die jeder kennt, aber keiner abzuändern bereit zu sein scheint.

 

37 Kommentare zu “Unabsehbare Folgen: Mobbing in der Schule”

  1. Matthias Ick schrieb am 10. März 2009 um 22:16: 

    Dem kann ich mich nur anschließen. Bei uns (tutoria.de) gehen vermehrt Hilferufe von betroffenen Eltern ein und eine pauschale Beurteilung ist in den wenigsten Fällen opportun. Leider ist das staatliche (kostenfreie) Beratungsnetz der Schulpsychologen für Schüler und Eltern viel zu dünn, um schnelle Hilfestellung zu bieten. Die Betroffenen warten nicht selten mehrere Monate auf Beratungstermine; die Konsequenzen für die Schüler sollte man sich besser nicht vorstellen. Mit unserer Initiative „Aufgeben geht nicht“ bieten wir eine anonyme und kostenfreie Erstberatung durch unser Schulpsychologenteam http://tinyurl.com/ct6t7v. Eine erste Hilfestellung zur Überbrückung der Wartezeit…

  2. speybridge schrieb am 11. März 2009 um 08:18: 

    Es wird generell oft genug zu lange gewartet, ehe überhaupt etwas unternommen wird: Die Kinder sagen oft nichts, Eltern neigen dazu, die Schulsituation (und die Lehrer) nicht anzutasten, Lehrer stehen ratlos vor dem Problem, selbst, wenn sie etwas ändern wollen, oder versuchen, zu vertuschen, wobei sie von übergeordneten Stellen ab und an gedeckt werden, wenn persöniche Beziehungen existieren (siehe Beitrag “Pädagogik 2009”).
    Zusätzlich habe ich den Eindruck, dass nicht allzu selten “Opferkinder” auch zu Hause eine gewisse Funktion in der (oft belasteten) Familienkonstellation haben bzw. die Familiensituation Mobbing in der Schule indirekt ermöglicht. Hier nur einseitig auf Schule zu blicken, würde auch zu kurz greifen.
    Zur Entlastung von Schule und Lehrern muss ich sagen, dass ich in der Beratung Eltern hochbegabter Kinder in den letzten Jahren zunehmend den Eindruck habe, dass Problemlösungen, wenn sie denn scheitern, nicht selten auch an Eltern scheitern und von ihnen (unbewusst/bewusst) unterlaufen werden. Diese wollen zwar immer das “Beste” für ihre Kinder, in vielen Fällen sind sie aber selbst Teil des Problems, weil eigene uneingestandene und unreflektierte (Familien-) Problematiken auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden.
    Mobbing ist wirklich ein sehr schillernder Problemkomplex!

  3. Harry Gambler schrieb am 2. Juni 2009 um 14:00: 

    Schülermobbing ist letztendlich eine Abfolge der seit Jahrzehnten eskalierenden Schiakne am Arbeitsplatz. Mobbing. Bedingt durch die gesellschaftliche Entwicklung, die Zunahme von Forschungsprojekten, den betreiblichen Ereignissen seit der Großen Ölkrise von 1975, dem Beginn der Amokläufe bei der Privatisierung der USA-Post wurde Mobbing nach un nach zu einer gesellschaftlichen Seuche. War es oft zu Beginn der 80er Jahre die Angst um den Arbeitsplatz, wenn einer gehen soll, dann der doer die doch und nicht ich, also muss ich was dafür tun, das sie oder er ins Kreuzfeuer gerät. Kam in den 90er Jahren mit der gesellschaftlichen Ossifizierung bei uns das sadistische Element der Stasimentalität zu, es wurde aus dem primitiven Instinkt des Bösen im Tier gemmobt.
    http://dieaktuelleantimobbingrundschau.wordpress.com/2009/05/29/mobber-verhalten-sich-wie-bosartige-tiere/
    Nach und nach haben die Kinder der Täter zu Hause gelernt, dass Mobbing ein Instrument der Macht ist, was sie ohne bedenken anwenden können, denn ihre Eltern erzählen von ihren asozialen Taten und Erfolgen Zuahuse am Sonntagstisch.
    Doch nun machen sich immer mehr und mehr Länder und Schüler insbesondere aus, um sich gegen Mobbing zu wehren. Von daher solle endlich die Forderung der Kids aus dem Brliner Wedding eingefordert werden und nach schwedischem Muter ein Miniminsterium enstehen, das selbst den Staatsanwalt einschalten und kontrollieren kann. Doch zuerst bleibt die Forderung der Kids von DeinKiez.de, http://dieaktuelleantimobbingrundschau.wordpress.com/2009/06/01/politiker-sollen-etwas-gegen-mobbing-tun-2/.
    Oder auch zufinden auf http://www.onlinezeitung24.de/article/1810
    Nur wenn wir jetzt gemeinsam Druck machen, können wir die Verhältnisse kippen und Mobbing zurück drängen. Denn eines steht heute fest, das nächste Mobbingopfer bist immer Du.
    Harry Gambler

  4. Mobbingrealität und Elfenbeinturmträumer. « Die-aktuelle-Antimobbingrundschau schrieb am 17. Juni 2009 um 01:48: 

    […] https://www.speybridge.de/?p=820 […]